JUSTIZREFORM IN ITALIEN: BERLUSCONI BESTRAFT DIE UNABHÄNGIGE JUSTIZ
: Staatsanwälte in Handschellen

Italiens Regierungskoalition ist in Feierlaune. Gestern brachte sie eine Reform durchs Parlament, die die Justiz des Landes grundlegend umkrempeln soll. Das sei im Interesse der Bürger, verkünden die Regierungssprecher. Man wolle dafür sorgen, dass Richter und Staatsanwälte endlich mit voller Kraft arbeiten. Schluss solle sein mit Faulenzerei im Justizapparat, mit Richtern, die keiner Kontrolle unterliegen. Das klingt gut: Schließlich ärgern sich Millionen Italiener über die schleppende Rechtsprechung, über Prozesse, die schon mal zehn Jahre dauern, bis ein Urteil gesprochen wird. Nur: Daran wird die neue Reform kaum etwas ändern.

Regierungschef Silvio Berlusconi ärgert sich nicht über Richter und Staatsanwälte, die zu wenig arbeiten. Seit Jahren hat er das entgegengesetzte Problem: Allzu fleißige Staatsanwälte haben ihn und einige seiner wichtigsten Mitarbeiter immer wieder vor Gericht gebracht – wegen Steuerhinterziehung, Bilanzfälschung, Bestechung. Berlusconi hatte auf seine Weise reagiert, ein Gesetz nach dem anderen durchgebracht, um diese für ihn peinlichen Prozesse abzuwürgen. Und die jetzt verabschiedete Reform schließt dieses Werk ab: Sie ist Berlusconis Generalabrechnung mit der bisher unabhängigen italienischen Justiz.

In Zukunft sollen die Staatsanwälte einer strengen Kontrolle unterworfen sein. Straffe Hierarchien und rigide Disziplinarverfahren, dazu das Verbot, sich überhaupt noch irgendwie öffentlich zu äußern: Das alles soll dafür sorgen, dass unbequeme Ermittler Politikern nicht mehr gefährlich werden können. Nicht umsonst hatte Berlusconi in den vergangenen Jahren die Richter und Staatsanwälte immer wieder als „kriminelle Vereinigung“, als „auszumerzendes Krebsgeschwür“, als Bande von „roten Roben“ abqualifiziert. Diese Reform zielt nicht auf Effizienzsteigerung, sondern auf Bestrafung der Justiz. Ob Berlusconi sein Ziel jetzt aber wirklich erreicht hat, ist noch offen: Schließlich gewährleistet Italiens Verfassung die Unabhängigkeit der Justiz, und deshalb ist es durchaus denkbar, dass Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi seine Unterschrift verweigert. MICHAEL BRAUN