Sistani spricht ein Machtwort

Die Parlamentswahlen im Irak sollen wie geplant am 30. Januar stattfinden. In den umkämpften Landesteilen wird die Registrierungsfrist verlängert. Terrorgruppen drohen den Kandidaten

AUS SULEIMANIJA INGA ROGG

Wie so oft schon in den vergangenen Wochen kam das Machtwort aus Nadschaf. Eine Verschiebung des auf den 30. Januar angesetzten Wahltermins im Irak komme nicht in Frage, erklärten die höchsten schiitischen Geistlichen um Großajatollah Ali Sistani am Wochenende. Mittlerweile sind auch die beiden großen kurdischen Parteien wieder auf diese Linie eingeschwenkt. Man fühle sich dem Wahltermin verpflichtet und werde die Wahlen wie geplant abhalten, heißt es bei der Demokratischen Partei (KDP) und der Patriotischen Union Kurdistans (PUK) einmütig.

Diese Haltung haben sich unterdessen auch die Partei von Premierminister Ajad Allawi, die Nationale Eintracht (Wifaq), sowie die Kommunistische Partei und Vertreter der christlichen Minderheit zu Eigen gemacht. Zuvor hatten sie gemeinsam einen Aufruf des sunnitischen Politikers Adnan Pachachi unterstützt, der die Verschiebung der Wahlen um ein halbes Jahr vorgeschlagen hatte. Damit sollte ein Ausschluss der sunnitischen Minderheit vom politischen Prozess abgewendet werden. Nachdem die Sunniten über Jahrhunderte die herrschende Elite des Zweistromlandes gebildet haben, sehen sie sich seit dem Sturz des Saddam-Regimes der Übermacht der gut organisierten Schiiten und Kurden gegenüber.

Von einzelnen Stammesscheichs abgesehen hat sich bislang allein die einflussreiche Islamische Partei für den politischen statt des bewaffneten Kampfs entschieden. Dabei steht Parteichef Muhsin Abdul Hamid unter erheblichem Druck seiner Basis, unter der die Sympathien für die Rebellen groß sind. In Ramadi und Falludscha sollen Teile der Partei zu den Untergrundkämpfern übergelaufen sein. Hamid reagierte darauf mit einem zeitweisen Rückzug aus der Interimsregierung.

Hamids ausgleichender Haltung stehen freilich die militanten Prediger vom Rat der sunnitischen Ulema (Religionsgelehrten) gegenüber, die zu einem Wahlboykott aufgerufen haben, und die Terrorgruppen mit ihrer Ankündigung von Anschlägen. Auch der ehemaligen Baath-Partei ist es gelungen, ihre Netzwerke im Untergrund zu festigen. In Städten wie Ramadi, Mossul, Samarra und Baquba hat nach Berichten von Einwohnern schon jetzt eine Hatz auf Kandidaten eingesetzt, obwohl es noch gar keine öffentlichen Listen gibt. In Pamphleten wird jedem mit Mord gedroht, der eine Kandidatur wagen sollte.

Dass Hamid oder andere sunnitische Politiker sie zu einer Abkehr von der Gewalt bewegen könnten, solange ausländische Truppen im Land sind, schließen die Amerikaner und das Gros der irakischen Politiker mittlerweile aus. Deshalb gilt jetzt die Devise: Lieber unzureichende Wahlen als gar keine.

Um den Sunniten doch noch eine Chance zu geben, hat die Wahlkommission den Termin für die Wahlregistrierung in den umkämpften Landesteilen ein weiteres Mal verlängert. Spätestens bis zum 15. Dezember müssen die Wahllisten indes stehen. Da es keine Wahlbezirke gibt, steht jede Liste landesweit zur Abstimmung. Bislang haben sich knapp 300 Parteien um eine Registrierung beworben, von denen gut 180 von der Wahlkommission zugelassen wurden. Kandidieren können aber auch Einzelpersonen, wenn sie dafür 500 Unterschriften vorlegen. Gleichzeitig mit dem nationalen Parlament werden die Vertretungen der 18 Provinzen gewählt. In Kurdistan finden darüber hinaus zum ersten Mal seit 1992 Wahlen zum Regionalparlament statt. Dessen Autorität beschränkt sich auch weiterhin auf die seit 1991 autonomen Gebiete.

Für Unmut unter den Kurden sorgt, dass die in der Übergangsverfassung festgelegte Rückkehr der vertriebenen Kurden nach Kirkuk und die Wiedereingliederung der mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebiete in die Provinz bislang am Widerstand von Sunniten und Schiiten gescheitert ist. Deshalb haben KDP wie PUK mit einer Verschiebung der Wahl geliebäugelt. Nach Auskunft des kurdischen Politikers Mohammed Tofiq wollen KDP und PUK zur Nationalwahl gemeinsam auf einer Liste mit turkmenischen und christlichen sowie einer Reihe kleinerer kurdischer Parteien kandidieren.

Dass sie angesichts der voraussichtlich geringen Beteiligung der Sunniten im Übergangsparlament einer erdrückenden Mehrheit der Schiiten gegenüberstehen, sieht Tofiq gelassen. Dabei verweist er auf das breite Spektrum der schiitischen Gruppierungen. Es reicht von Fundamentalisten wie dem ehemaligen Militanten Muktada al-Sadr über Nationalisten bis zu Säkularen. Außerdem ist für eine Änderung der Übergangsverfassung eine Zweidrittelmehrheit nötig. Notfalls steht den Kurden gemäß dieser Verfassung auch die Möglichkeit des Vetos gegen jede künftige Verfassung offen. Das größte Problem für Politiker wie Tofiq ist freilich die Mobilisierung der eigenen Wähler. Wie man es wendet, die Kurden werden in der Minderzahl sein, lautet die weit verbreitete Meinung.