„Nie wieder Regen“

Eine kleine Gruppe von Demonstranten zog am Samstag durch die verregnete Münsteraner Innenstadt. Sie protestierten gegen Sozialabbau

Tausend Demon-stranten hatte attac erwartet – nur hundert kämpften gegen das Weihnachtsgedudel

von NATALIE WIESMANN

Samstag Morgen, halb elf am Münsteraner Hafen. Die Westfalenmetropole macht ihrem Klischee alle Ehren: Der Himmel ist grau und es regnet Bindfäden. Ein Tag um im Bett liegen zubleiben, eigentlich. Das könnte der Grund dafür sein, dass sich nur etwa 100 in Regensachen vermummte Münsteraner versammelt haben, um gegen den Sozialkahlschlag der Bundesregierung protestieren. Dabei war von der attac-Ortsgruppe eine große Demonstration angekündigt worden, mit etwa tausend Teilnehmern hatte man gerechnet.

Die mitgebrachten Fahnen und Transparente zeigen zumindest die Vielfalt der Organisationen, die zum Protest aufgerufen hatten: Gewerkschaften, Arbeitsloseninitiativen und kleinere linke Parteien wie die PDS oder die DKP. Gemeinsam fordern sie die Rücknahme von Steuer- und Gesundheitsreformen und die Einführung der Vermögensteuer. „Ich bin Iranerin, meine Tochter ist hier aufgewachsen und ich möchte, dass es auch ihr in Zukunft gut geht,“ sagt Shagajeg Kamali. „Die ganzen sozialen Errungenschaften sind von den Menschen mühsam erkämpft worden und dürfen nicht wieder langsam abgebaut werden,“ so die Klavierlehrerin. Nach den Eingangsstatements, denen die anwesenden Zuhörer wenig Aufmerksamkeit widmen, macht sich die inzwischen auf 200 Leute angewachsene Menge in bunter Regentracht auf den Weg in die Innenstadt

Auf der Fußgängerzone angekommen nimmt die kleine Protestgruppe den Kampf mit dem Weihnachtsgedudel der umliegenden Geschäfte und des Weihnachtsmarktes auf. Zu vereinzelten Trillerpfeifen tönen Schlachtenrufe wie „Wer hat uns verraten, die Sozialdemokraten. Und wer war mit dabei, die Grüne Partei.“ Die alte Parole „Solidarisieren, mitmarschieren“, scheint bei den Menschen nicht wirklich zu ziehen. „Ich finde es traurig, dass so wenig Leute bereit sind, sich zu wehren. So viele meckern über die Politik, aber meistens vor dem Fernseher“, ärgert sich eine Lehrerin aus Münster. Die Form der Demonstration sei die einzige Möglichkeit, andere anzustecken. Die Bevölkerung am Rande des Zuges macht zum großen Teil jedoch nicht den Eindruck, das Geschehen zu tolerieren bzw. gar zu unterstützen.

„Wir haben alle zu viel verdient und zu viel ausgegeben“, so ein holländischer Tourist im Rentenalter. Aber das sei jetzt vorbei. Viele Passanten schauen fassungslos, andere schütteln mit dem Kopf, die meisten fühlen sich bei ihrem Einkaufsbummel gestört: „Das können die doch nicht machen, mitten in der Weihnachtszeit, die sollten alle ins Arbeitslager, so ein stark alkoholisierter Zuschauer.

„Nie wieder Regen“, tönt es von einer kleinen Gruppe junger Demonstranten als Auflockerung gegen die Kampfparolen der Alten. „Das Wetter hat uns einen Streich gespielt“, so attac-Mitglied und Demo-Koordinator Peter Wolter, während er sich einen Regentropfen aus den Augen wischt. Aber die Bandbreite sei ungeheuer, über 15 Organisationen hätten sich zum Bündnis gegen den Sozialabbau zusammengetan. „Das hat es in Münster seit 20 Jahren nicht mehr gegeben“, sagt er stolz.