Weihnachtsspaß für zwei „Eulinge“

Am Kölner Rheinauhafen lockt ein mittelalterlicher Markt mit Schmied, Kasperle, einem Barden und orientalischer Falafel – ein Nostalgieangebot ohne Pranger und Hexenverbrennungen. An das Pseudo-Mittelhochdeutsch gewöhnt sich der Besucher bald

VON CHRISTIAN GOTTSCHALK

Das Sportmuseum am Rheinauhafen mit seinen Türmchen macht sich ganz gut als Hintergrund für den mittelalterlichen Weihnachtsmarkt. „Zwei vom europäischen Golde“ verlangen die Wachen am Eingang an Wegezoll, „Kinder unter Schwertmaß“ haben freien Eintritt. Und die langen Holzschwerter reichen den Wachen schon fast bis ans Kinn. Etwa 25 Stände sind aufgebaut, an denen verkleidete, überwiegend jüngere Mittelalterfreaks für „Eulinge“ oder „Goldrandtaler“ ihre Waren anbieten.

Gut, ich hatte mir das Mittelalter etwas anders vorgestellt. Wo sind die leprösen, wo die verkrüppelten Bettler mit lehmigen Gesichtern und Catweazlebärten? Wie komme ich hier zur nächsten Hexenverbrennung, wo kann ich einem Ketzer am Pranger ins Gesicht spucken? Wieso wate ich nicht bis zu den Knöcheln im Kot, wo fliegt ein besoffener Ritter in den Dreck, wo bietet ein betrügerischer Alchimist die ewige Jugend an? Für mich gibt es Mittelalter nur im semantischen Doppelpack mit „finster“: Die Erde war noch eine Scheibe und der Aderlass medizinischer Fortschritt.

Doch wer will solch ein Mittelalter schon nachspielen? Und wer will es besuchen? Der Verein „Kramer Zunft und Kurzweyl – Arbeitsgemeinschaft zur Erhaltung und Belebung Mittelalterlicher Kultur e.V.“ mit Sitz in Bergneustadt bietet seinem Publikum ein schönes, buntes und unterhaltsames Mittelalter. „Wir spielen das Mittelalter des 11. bis 15. Jahrhunderts“, sagt Andreas Küster, der „Informatius“ des Marktes. „Wir leben das alte Schaustellergewerbe nach und bieten eine Illusion.“

So erinnert das Mittelalter am Schokoladenmuseum ein wenig an die Welten, die „Spiderman“-Regisseur Sam Raimi für die Fernsehserien „Xena“ oder „Herkules“ geschaffen hat: sauber, fröhlich, farbenfroh. Zunächst ist man etwas befremdet von der eigenartigen Sprache, die die Marktleute hier sprechen. Auch sie scheint eher dem Studium von Ritterfilmen und historischen Romanen entsprungen zu sein als dem des wirklichen Mittelhochdeutschen. „Tretet eyn (sie schaffen es tatsächlich, es irgendwie mit Ypsilon zu sprechen) und prüfet die Waren, die wir feilbieten.“ Auch das gedruckte Programm spricht beim Barden Ludmillus von „gar minniglichen Weisen“.

Was zunächst etwas aufdringlich wirkt, erweist sich im Laufe des Besuchs als nicht unwichtiger Teil des Spiels: Es wäre nicht schön, wenn eine Marktfrau im mittelalterlichen Gewand ganz sachlich „Dreieurofuffzig“ einfordern und sich mit einem „Dankeschönentagnoch“ verabschieden würde.

Zu kaufen gibt es Hörner zum Tröten und zum Trinken, alle möglichen Kräuter und Tees, Korbwaren (hier kann man dem Korbmacher bei der Arbeit zusehen), Kleidung (Hippieblusen und „Knitterkittel“), Holzspielzeug, Lederwaren (Schnabelschuhe und Muffs), Astkugelschreiber, Vogelstimmenflöten, Seife („aus französischen Landen - ohne chemische Zusätze“) und Musikinstrumente. Außerdem kann man einem Schmied bei der Arbeit zusehen, die Kinder auf dem Esel reiten lassen oder auf Strohballen sitzend Kasperle zugucken.

Zu essen gibt es unter anderem Fleisch am Spieß, ein Reisgericht, gereicht in einem Teller aus Kohlblättern, und Falafel aus dem Orient. Wie die es im 14. Jahrhundert nach Europa geschafft hat, bleibt ein Geheimnis. Dazu spielt der Spielmann, und der kölsche Rentner stimmt mit ein. Und dafür gibt es hundert Pluspunkte gegenüber allen anderen Weihnachtsmärkten: Man hört ausschließlich unverstärkte Live-Musik, gespielt auf mittelalterlichen Instrumenten – Balsam für die „Jingle Bells“-geschädigten Nerven.

Die meisten hier, erzählt der Informatius, haben ihr Hobby zum Beruf gemacht. Die ganze Saison ziehen sie durch Deutschland und machen Mittelaltermärkte. Es gebe eine große Szene, die sich dem Mittelalter verschrieben habe. Warum auch immer, vielleicht hat ja auch der Aberglaube seinen Reiz. Zumindest sah ich ein Weib, das frug nach Kaffesatz, denn: „Morgen kommt so‘ne Frau, die wollte mir das Kaffesatzlesen beibringen.“