Müllkippe Nordseeküste

Seit über 40 Jahren werden Schutt und giftige Verhüttungsabfälle als billiges Baumaterial im Küstenschutz verwendet. Wie gefährlich die Schlacken für Watt und Meer sind, weiß keiner

Geprüft wird nur die Deichsicherheit. Wo überall Gift ins Watt sickert, ist unbekannt

aus Krummhörn-CampenThomas Schumacher

Die Küstenbefestigung beim ostfriesischen Campen, an der Nordsee vis-à-vis von Borkum gelegen, sieht aus wie ein Trümmerfeld. 100.000 Tonnen Schlacke und Sinterabfälle aus der Kupfer-, Eisen- und Stahlproduktion wurden hier zwischen 1964 und 1966 in einem Großversuch ins Wattenmeer gekippt. Die staatlichen Behörden suchten einen billigen Baustoff, um Deiche und Küstenabschnitte gegen das anrollende Meer zu sichern. Ins Meer gekippt wurde alles, was bei der Metallgewinnung anfällt und Angst und Schrecken verbreitet: Neben feinerem und gröberem Schutt vor allem Verhüttungsrückstände, Gießerschutt aus Gießrinnen, Roheisen und Stäube aus Filteranlagen. Eine wilde Giftmüll-Deponie als Küstenschutzbauwerk, wo heute der Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer beginnt.

„Keine Ahnung, wo die Schlacken überall verbaut wurden und ob das in dieser Form heute noch gemacht wird“, sagt ein Sprecher des Niedersächsischen Landesbetriebes für Wasserwirtschaft und Küstenschutz (NLWK). Doch eins weiß er: „Die Deichsicherheit können diese Baustoffe nicht beeinträchtigen, denn die wird regelmäßig geprüft.“ Bislang wusste man tatsächlich nicht, wo überall die Schlacken verkippt wurden. Dies ist jetzt anders. Der maritime Zweig des Niedersächsischen Landesamtes für Ökologie (NLÖ), die Forschungsstelle Küste Norderney, hat ein Kataster erstellt, in dem ein Großteil der Schüttorte verzeichnet ist. Um alle Stellen zu ermitteln, reichte das Geld nicht aus. Klar ist aber: Schlacke ist in den letzten 40 Jahren flächendeckend an der gesamten niedersächsischen Küste verbaut worden, schwerpunktmäßig bei Campen, Borkum, Wangerooge und Cuxhaven.

Aus dem Kataster geht auch hervor, was Chemiker in direkter Nachbarschaft der so genannten Schutzwälle im Wattboden nachgewiesen haben: Blei, Zink, Kupfer, Chrom, Cadmium – quasi alles, was die Giftküche so hergibt. Eindeutige Quelle: Die Schlacken. Die giftigen Schwermetalle werden ausgewaschen, feinkörniger Abrieb der Schlacke verteilt sich zudem im Watt. Unklarheit herrscht noch darüber, ob die Flora und Fauna des Wattenmeeres durch die Gifte geschädigt wird. Erste Untersuchungen lassen diese Befürchtung aber zu. Erste Labortests zeigen, dass die Meereslebewesen auf die Schwermetalle reagieren.

Seit gut 20 Jahren wird die Schlacke nicht mehr nur ins Meer gekippt, sondern dabei mit Beton oder Asphalt verbunden. Trotzdem hat die Forschungsstelle auch hier Risse, Abriebe und Erosion festgestellt. Eine ganze Industrie hat sich mittlerweile auf so genannte Eisensilikatsteine für den Wasserbau spezialisiert. Auch sie verwertet Rückstände aus der Kupferproduktion oder -rückgewinnung. Die Hersteller haben Unbedenklichkeitsgutachten für ihre Kunststeine vorgelegt. „Trotzdem gibt es Forschungsbedarf über die Giftigkeit dieser Steine für die Meeresbiologie“, sagt Andreas Larm vom NLÖ.

Zuständig für die Zulassung dieses Baumaterials ist die Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz. Der dortige Abteilungsleiter Albrecht Müller gibt zu: „Wir haben uns in unseren Untersuchungen dieses Materials um deren Verwendung im Süßwasserbereich gekümmert, weniger um den Verbau im Meer.“ 14 Millionen Tonnen allein dieser Industriesteine sind seit 1970 im Wasser- und Straßenbau eingesetzt worden. Die niedersächsische Landesregierung hat jüngst beschlossen, das NLÖ im Zuge der Verwaltungsreform zu schließen. Die Forschungsstelle Küste Norderney hofft, dass sie auch in Zukunft weiter die Gefährlichkeit der verbauten Schlacke forschen darf.