blumenkohl mit backpflaume von RALF SOTSCHECK
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Der Zufall kann manchmal grausam sein. Vor acht Tagen saß ich bei John McNamara, einem befreundeten älteren Herrn, in seinem Haus an der irischen Westküste. Er erzählte von seiner Zeit als Nachrichtenoffizier in den Sechzigerjahren auf einem großen Schiff. „Wir legten oft in Hamburg an,“ sagte er, „und natürlich gingen wir zur Reeperbahn. Es gab da den ‚Star-Club‘, wo die Beatles mitunter auftraten. Als wir dort waren, spielte allerdings eine eigenartige deutsche Kapelle. Sie sangen über Blumenkohl.“

Die Rattles, durchzuckte es mich. „Gott steh dir bei“, sagte ich rasch, um den Fluch zu bannen, aber es war zu spät. Kurz darauf schaltete John den Fernseher ein, deutsches Programm via Satellitenschüssel, um mir eine Freude zu machen. Im WDR lief „40 Jahre Rattles“, aufgezeichnet im August in der Hamburger Fischauktionshalle. „Mach das weg!“, schrie ich, doch John fühlte sich offenbar an seine Jugend erinnert und versteckte die Fernbedienung. „Die sind ja noch schlechter als damals“, stellte er überrascht fest, war aber von dem dargebotenen Grauen so fasziniert, dass er nicht umschalten wollte.

Leadsänger Achim Reichel sah mit seiner Proletengrillbräune und den gebleichten Haaren aus wie eine verschimmelte Backpflaume. Und passenderweise sang er immer noch über Lebensmittel. „Mashed potatoes, lalalalala, lalalalala“, greinte er, und mehr Text kam in dem Lied nicht vor, was dem in der Sonnenbank verschmorten Reichel-Hirn sehr zupass kam. „Seine Stimme ist so dünn wie die eines Achtzigjährigen“, stellte John fest. „Vor vierzig Jahren klang er wenigstens noch wie ein Sechzigjähriger.“

Aus unerfindlichen Gründen redete Reichel mit seinem Hamburger Publikum in gebrochenem Englisch: „I will törn ju on“, hoffte er, „klepp jur händs. I wont tu hier ju.“ Das Publikum wollte ihn aber nicht mehr hören, denn nach „Come on and sing“ – dessen gesamter Text aus genau diesen vier Worten bestand – sangen die Leute das Lied einfach weiter. Hatten sie genug von ihm? Sie konnten es allemal besser als Reichel, der bei jedem zweiten Song wie eine Katze jaulte. Wollte er die gequälten Tiere vor der Fischhalle übertönen? John kam jedenfalls aus dem Staunen nicht mehr heraus. „Da heißt es, die Deutschen haben keinen Humor“, sagte er, „und dann machen sie solch eine großartige Satiresendung.“

Doch Reichel meinte es ernst. Er sang auch Volkslieder, „Lorelei“ zum Beispiel. „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten, dass ich so trauhaurig bin“, wimmerte er. Ich hingegen wusste es genau. Als er dann auch noch die „Melodei-hei-hei“ besang, bekam ich Depressionen. Das hatte das Lied nicht verdient. Aber es kam noch schlimmer, die „Regenballade“ war der peinliche Höhepunkt. „Es raschelte und rieselte“, flüsterte Reichel ins Mikrofon, ohne zu merken, dass es der Kalk aus seinem Hirn war. Der Chor bestand aus zwei Dutzend jungen Klosterschülerinnnen. Die hatte die Äbtissin zur Buße in die Fischauktionshalle geschickt. Das geriatrische Publikum stimmte textsicher ein: „Nananananana.“ Irgendwann kam sicher auch „Cauliflower“. Doch da hatte ich längst die Fernbedienung entdeckt und dem garstigen Treiben ein Ende bereitet.