„Wie ein Gebrochener“

Der Psychoanalytiker Micha Hilgers über Saddam im Kellerloch, die Macht der Bilder und die fragile Lage im Irak: „Spektakuläre Terrorakte könnten die Stimmung herumreißen“

INTERVIEW STEFAN KUZMANY

taz: Herr Hilgers, lassen Sie uns über Spekulation reden: Wenn Saddam Hussein tatsächlich über längere Zeit in diesem Kellerloch gesessen hat – was für Auswirkungen hat das auf ihn?

Micha Hilgers: Das kann die Auswirkung gehabt haben, dass er bei seiner Verhaftung sehr gebrochen wirkte, sehr wenig widerständig bei seiner Untersuchung – wie die Fernsehbilder das eben zeigen.

Welche Auswirkungen werden die Bilder, die wir hier gesehen haben, auf den Widerstand im Irak haben?

Ohne Zweifel sind das sehr mächtige Bilder. Sowohl der Satz „We got him“ als auch die Bilder eines Saddam Hussein, der erkennbar keinerlei Widerstand und keine heroischen Posen zeigt. Umgekehrt wird man abwarten müssen, ob es dem Widerstand im Irak gelingt, nunmehr seinerseits durch spektakuläre Aktionen, etwa Terrorakte, oder Kommunikation anderer Inhalte auf der anderen Seite die Stimmung wieder herumzureißen. Diese Tatsache und ob es den Amerikanern gelingt, weitere Festnahmen zu machen, wird darüber entscheiden, wie sich die langfristige Situation entwickelt.

Wie sehr kann Spekulation die Realität formen?

Spekulation und die Bilder, die wir im Moment sehen, sind so gemeint, dass sie Politik machen, dass sie die Realität beeinflussen sollen. Und das bestimmt die kommenden Entwicklungen maßgeblich mit. Bilder und ihre Kommunikation vermitteln generelle Stimmungen – nur dass im Moment die Situation außerordentlich fragil ist.

Warum glauben wir Fernsehbildern?

Das Fernsehen und die Bilder, die dort vermittelt werden, sind ein Affektmedium. Sie rufen Gefühle und Stimmungen auf den Plan, und so sind sie ja auch gemeint. Genau deshalb zeigen die Amerikaner genau diese Bilder, um die Stimmung im Irak, sowohl in der Bevölkerung als auch im Widerstand und natürlich auch daheim für den kommenden Wahlkampf, entscheidend zu beeinflussen. Es geht bei solchen Bildern weniger um Fakten als um die ausgelösten Affekte.

Sieht der Mann aus dem Kellerloch so aus, als habe er entscheidenden Einfluss auf den Widerstand im Irak gehabt?

So sieht er nicht aus, und so soll er ja auch nicht aussehen.

Aber wäre es nicht für die Amerikaner besser gewesen, einen Saddam zu zeigen, der der Kopf des Widerstandes gewesen ist – und dass dieser Kopf nun abgeschlagen ist?

Keineswegs. Es ist viel wirkungsvoller, wenn man einen gebrochenen Mann zeigt, der nicht mutig ist, der keine Identifikationsfigur darstellt. Dann sieht es so aus, dass der Widerstand ins Leere laufen würde und dass derjenige, der angeblich der Kopf des Widerstands gewesen sein sollte, doch nur ein lächerlicher Papiertiger war. Schande und Beschämungen der Gegenseite bestimmen diesen Kommunikatonskrieg.