„USA müssen Kontrolle über politischen Prozess aufgeben“

Sicher: Saddams Verhaftung ist ein psychologischer Sieg. Erfolgreiche Demokratisierung jedoch bedarf langfristiger Veränderungen, meint der US-Experte Thomas Carothers

taz: Mr. Carothers, ist die Festnahme Saddam Husseins ein Wendepunkt in der Entwicklung des Irak zu einem friedlicheren und demokratischen Land?

Thomas Carothers: Die Leute, die den Krieg unterstütz haben, werden sagen, es ist ein Wendepunkt. Diejenigen, die gegen den Krieg waren, werden sagen, der Widerstand im Irak ist sehr viel komplizierter. Die polarisierte Debatte zu dem Krieg bestimmt auch hier die Meinungen. Es ist eindeutig, dass einige der Leute im irakischen Widerstand keine Verbindungen zu Saddam Hussein hatten. Dennoch: Die Festnahme ist ein großer psychologischer Schlag gegen den Aufstand.

Saddam Hussein hatte sich bei seiner Festnahme in einem Erdloch unter einem Bauernhaus versteckt. Kaum ein Ort, um einen Guerillakrieg anzuführen.

Er hat den Krieg sicher nicht im taktischen oder logistischen Sinne geführt. Die Frage ist, ob seine Anwesenheit im Land dazu beigetragen hat, andere zu motivieren, Anschläge zu organisieren und auszuführen.

Könnte es sogar sein, dass Saddam Hussein durch seine Festnahme zu einem Märtyrer stilisiert wird?

Es ist eine der großen Fragen und hängt auch damit zusammen, wie er behandelt werden soll. Ich glaube aber nicht, dass die Festnahme seinen Märtyrerstatus verstärkt. Er war effektiver durch seine mysteriöse und gespenstische Anwesenheit im Land, als er es jetzt als Gefangener sein kann.

Wird die Festnahme Präsident George W. Bush helfen?

Das ist leider die Frage, die in Washington jeder stellt, wenn irgendwo in der Welt etwas Wichtiges passiert. Wir neigen dazu, die Dinge in unseren eigenen engen politischen Muster zu interpretieren. Aber natürlich wird es ein gewisser Schub sein für Bush. Die Bush-Regierung wird es als einen Sieg feiern. Aber es ist noch ein ganzes Jahr bis zu den Präsidentschaftswahlen, und bis dahin kann noch einiges passieren.

Was empfehlen Sie der US-Regierung als Strategie für einen Frieden im Irak?

Sie muss den Prozess fortführen, eine irakische Führung zu installieren. Eine Führung, zu der die Iraker eine Verbindung haben und die einen gewissen Grad an Legitimation hat. Dazu gehört, die Kontrolle über den politischen Prozess aufzugeben. Sie muss akzeptieren, dass man den Ausgang dieses Prozesses nicht lenken kann. Wenn es Wahlen gibt, muss man die akzeptieren, die ausgewählt werden. Sie muss die Idee aufgeben, dass sie den politischen Prozess genau formen kann.

In der ehemaligen Sowjetunion scheint das Demokratisierungsprojekt gescheitert. Gibt es Hoffnung, dass es im Nahen Osten gelingt?

Zum einen lernen wir daraus, dass Wahlen sehr einfach durch neue starke Führer manipuliert werden können. In den Ländern der ehemaligen Sowjetunion nutzten die Regierenden Wahlen zur Legitimation ihrer Macht statt zur Demokratisierung. Wir müssen also aufpassen, dass Wahlen im Irak oder sonst wo im Mittleren Osten nicht zu Ähnlichem führen. Zum anderen haben wir gelernt, dass der Prozess der Demokratisierung sehr viel komplizierter ist als gedacht. Man muss den Prozess länger in Fluss halten. Es gibt in Amerika die Tendenz zu schnellen abschließenden Lösungen. Demokratisierung bedarf aber langfristiger und tiefgreifender Veränderungen.

Der Irakkrieg war als Beginn einer Demokratisierung des Nahen Ostens gerechtfertigt worden. Wird das endgültige Ende Saddam Husseins zum Sturz anderer Diktatoren in der Region beitragen?

Nein, das glaube ich nicht. Der politische Prozess in den anderen Ländern des Nahen Ostens steht nicht in Verbindung zu der Festnahme Saddam Husseins. INTERVIEW: ERIC CHAUVISTRÉ