Daheim im Erdloch geschnappt

Die monatelange Suche nach dem irakischen Despoten ist vorbei. Nun sitzt er in US-Gefangenschaft an einem unbekannten Ort

AUS BAGDAD INGA ROGG

Sonntag, 13 Uhr Ortszeit in Bagdad: Der arabische Satellitensender al-Arabia bringt als erste Fernsehanstalt die Nachricht, dass Saddam Hussein gefasst sei. Staunen, Unglauben auf den Gesichtern der Zuschauer in der Hotellobby. Eine drei Viertel Stunde später sind die ersten Freudenschüsse zu hören. Verhalten noch. Um 14.15 Uhr geht der Verkehrslärm um den ehemaligen Präsidentenpalast, in dem heute die US-geführte Koalition herrscht, im Jubel der Freudenschüsse unter.

Es wird aber noch einmal eine gute Stunde dauern, bis der amerikanische Zivilverwalter Paul Bremer die entscheidenden Worte sagt: „Ladies and gentlemen, we got him.“ Wir haben ihn. Mit diesen drei Wörtern gibt Bremer die Festnahme von Saddam Hussein bekannt. Einer der ruchlosesten Diktatoren der vergangenen Jahrzehnte befindet sich in amerikanischer Haft.

Ein kurzes Schweigen unter den versammelten Journalisten, Mitarbeitern der Koalitionsverwaltung und des Militärs. Dann tosender Beifall. Irakische Kollegen brechen in Jubel aus. „Tod Saddam!“, rufen einige. „Lange lebe der Irak“, fallen andere in den Chor ein. Momente der Rührung, des Innehaltens und des Unfassbaren – Momente der großen Gefühle machen sich in der ehemaligen Versammlungshalle der Baath-Partei bereit, wo Bremer mit seinen drei Wörtern eine ganze Ära beendet.

Am Samstagabend um etwa 20.30 Uhr Ortszeit sei Saddam in einem Versteck im Dorf al-Dawer, etwa 15 km südlich von Tikrit, von Einheiten der 4. Infanterie und Spezialeinheiten aufgespürt worden, sagt US-General Ricardo Sánchez. Mit Saddam seien zwei weitere Männer in Gewahrsam genommen worden. Über ihre Identität machten Sánchez und Bremer keine Angaben. Alle drei werden an einem nicht näher genannten Ort festgehalten.

Adnan Pachachi vom irakischen Regierungsrat bezeichnet den Tag als einen „historischen“ in der Geschichte des irakischen Volkes. Er forderte den Regierungsrat auf, den 13. Dezember zum Nationalfeiertag zu erklären.

Wie die USA auf die Spur des Diktators gekommen sind, wollte Sánchez auf der Pressekonferenz nicht bekannt geben. Er verwies nur allgemein auf militärische und lokale Informationen. Bereits am Nachmittag hätten die Truppen Hinweise auf ein mögliches Versteck des Diktators erhalten und zwei Zielorte ausgemacht. Eineinhalb Stunden vor der Festnahme sei es dann gelungen, das Versteck genauer zu lokalisieren, das sich in einer ländlichen Gegend in der Nähe einer Lehmhütte befunden habe. Ein von der Armee aufgenommenes Video zeigte ein ausbetoniertes, etwa mannsgroßes Erdloch. Dazu wurden Bilder von einem alten Mann mit langem, grauem Bart und verwuscheltem, halblangem Haar vorgeführt, der Saddam ähnlich sah. Darauf folgten Bilder nach einer Rasur sowie ein Foto aus seiner Zeit als Präsident des Landes in Uniform. Der Diktator habe keinen Widerstand geleistet und sich bei der Festnahme kooperativ gezeigt, sagte Sánchez. Zwar wurden bei ihm 750.000 US-Dollar Bargeld in 100-Dollar-Noten gefunden, aber nur zwei Kalaschnikows und eine Pistole. Eine erste DNA-Analyse soll ergeben haben, dass es sich wirklich um Saddam Hussein handelt.

Wieder brechen die irakischen Journalisten in Jubel aus, als die Bilder des Despoten gezeigt werden. „Glückwunsch dem irakischen Volk und dank an unsere Freunde der Koalition“, sagt einer. „Das ist der Tag der Genugtuung für die Opfer, die in den Massengräbern verscharrt liegen“, ruft ein anderer. Einige brechen in Tränen aus.

Von Paris hatte als erster der kurdische Politiker Dschalal Talabani die Nachricht von Saddams Festnahme an die iranische Nachrichtenagentur gemeldet. Doch bis zur Pressekonferenz war in Bagdad von keiner der politischen Parteien eine Bestätigung zu erhalten. Diesmal hielten alle dicht.

Saddam sei bei seiner Festnahme in gutem Gesundheitszustand gewesen, erklärt Sánchez. Jedoch habe er müde und erschöpft gewirkt. Monatelang hatte der Despot die amerikanischen Suchtrupps, die immer wieder erklärten, ihm auf den Fersen zu sein, in Atem gehalten. Erst am Sonntag hatte eine britische Zeitung gemeldet, seine Zweitfrau stünde in regelmäßigen Telefonkontakt mit ihrem Mann. Ob es die romantischen Gefühle eines alternden Mannes waren, die letztlich zur Aufdeckung seines Verstecks führten, wollte Sánchez nicht sagen. Auch nicht, wie lange sich der Exherrscher über das Zweistromland in dem Erdloch versteckt gehalten haben könnte.

Die 25 Millionen Dollar Kopfgeld, die auf ihn ausgesetzt waren, hatten die US-Soldaten nicht auf seine Spur geführt. Aber vielleicht war es am Ende doch die aussichtsreiche Belohnung, die zum entscheidenden Tipp führte. Bereits im Juli waren seine beiden Söhne Kusai und Udai einem Verrat zum Opfer gefallen und bei Mossul getötet worden.

Das Versteck zeigt freilich, dass sich Saddam zuletzt, wie von vielen Irakern immer vermutet, nur auf seine eigenen Verwandten verlässt. Denn hier bei Tikrit wurde er in einem kleinen Dorf als Sohn eines armen Bauern geboren. Auf die Tikritis stützte er auch große Teile seines Machtapparats.

„Dies ist ein großer Tag in der irakischen Geschichte und einer großer Tag für das irakische Volk“, sagte Bremer. Mit diesem Tag endeten die Jahrzehnte des Unrechts und der Tyrannei. Von nun an könne der Irak mit dem Aufbau seiner Zukunft beginnen. Dass mit der Festnahme des Despoten die Attacken auf die Koalitionstruppen und ihre irakischen Mitarbeiter aufhören, wollten aber auch Sánchez und Bremer nicht voraussagen. Man werde in naher Zukunft mit weiterer Gewalt rechnen müssen, sagte Sánchez. „Doch das Kapitel der Terrorherrschaft ist endgültig geschlossen.“

Ganz zuversichtlich war man auf den Straßen Bagdads wenige Stunden danach noch nicht. An einigen Stellen versammelten sich kleine Gruppen zu Jubelfeiern. Doch ansonsten wirkte die Innenstadt erstaunlich ruhig.