: „Natürlich will China Supermacht werden“, sagt Yan Xuetong
Chinas Wirtschaft boomt. Politisch will es ein Gegengewicht zur Hegemonie der USA sein. Auch militärisch
taz: Herr Yan, Bundeskanzler Schröder kommt am Montag nach China und wird sich, wie bei seinen Besuchen zuvor, auf Wirtschaftsgespräche konzentrieren. Haben China und die EU keine strategischen Interessen, über die man reden müsste?
Yan Xuetong: Sie haben vor allem keine strategischen Interessen, die miteinander kollidieren. Deutschland und Frankreich wollen keine Führungsrolle in Ostasien, China will keine in Europa. Deshalb verstehen wir uns so leicht. Ein gemeinsames strategisches Interesse aber gibt es: China und die EU trachten beide nach dem Supermachtstatus der USA, weil wir uns von dem hegemonialen Druck Washingtons befreien wollen. Weder China noch die EU wollen US-Befehlen gehorchen. Die USA sagen, zieht mit uns in den Krieg gegen den Irak oder Nordkorea, bezahlt, entsendet Truppen – aber wir führen die Sache. Nicht nur Chirac ist gegen diese Weltordnung.
Europäer reden aber kaum von eigenen Supermachtambitionen.
China will durch den Ausbau seiner wirtschaftlichen und militärischen Fähigkeiten zur Supermacht werden. Europa verfolgt das gleiche Ziel auf dem Weg der politischen Integration. Beides wollen die USA verhindern.
Und wie erfolgreich sind die USA dabei?
Washington hat erkannt, dass China die USA wirtschaftlich einholen, aber militärisch nicht gegen sie konkurrieren kann. Gelingt es den USA, ihren militärischen Vorsprung zu bewahren, kann China keine Supermacht werden. Deshalb wehren sich die USA gegen jeden Verkauf von Militärtechnik an China – wie auch gegen die Aufhebung des EU-Waffenembargos gegen China. Gegenüber Europa versuchen die USA, die politische Integration zu verlangsamen, etwa durch die EU-Mitgliedschaft der Türkei. Je mehr Mitglieder, desto langsamer die Integration.
Japan reagiert auf China schon heute wie auf eine Supermacht. Warum?
Japans feindselige Haltung ist ganz natürlich. Die Japaner beklagen, dass China sie als führende Wirtschaftsmacht Ostasiens in den kommenden Jahren ablösen wird. Vor 15 Jahren mussten sich die Russen auch erst daran gewöhnen, dass China sie wirtschaftlich überholte. Dafür brauchte es Zeit, und das gilt heute auch für Japan.
Aber Japan bleibt nicht passiv – seine neuen Verteidigungsrichtlinien richten sich gegen China.
Japan ist das England Asiens. Als die Engländer erkannten, dass sie innerhalb der EU nicht die führende Rolle spielen konnten, zogen sie vor, auf Seiten Amerikas zu stehen. Japan reagierte genauso. Als die Japaner erkannten, dass sie in Ostasien nicht die führende Rolle spielen konnten, zogen sie vor, mit Amerikas Hilfe Chinas wachsenden Einfluss in der Region zu kontrollieren. Der Preis dafür ist, dass sie der US-Politik folgen müssen …
… aber Japan und China sind heute gegenseitig die wichtigsten Handelspartner.
Das ändert aber nichts an der korrekten Einsicht der Japaner, dass ihr wirtschaftlicher Vorsprung schmilzt. Hinter den USA und Deutschland ist China seit 2004 die drittgrößte Handelsnation. 2004 gab es erstmals mehr chinesische als japanische Touristen im Ausland: 20 zu 17 Millionen. Jeder chinesische Tourist gibt im Ausland 40 Dollar mehr aus als ein japanischer Tourist. Tokio versucht nun seinen Einfluss politisch zu konsolidieren: mit einem Sitz im Weltsicherheitsrat, der Legitimation ausländischer Truppeneinsätze und der lautstarken Diskussion über die angebliche chinesische Bedrohung. Kurzfristig ist China deshalb außer Stande, das Verhältnis zu Japan zu verbessern.
Muss China nicht vorrangig auf die eigene Integration in der Region bedacht sein?
Doch. Der Handel bringt uns diesem Ziel ja auch näher. Unser dramatisch wachsender Binnenmarkt ist eine Riesenchance für alle Nachbarländer. Zuerst profitieren davon die südostasiatischen Asean-Länder, dann Japan, dann Europa.
Wieso erwähnen Sie nicht die USA?
Weil der Handel zwischen China und den USA von der US-Sicherheitspolitik blockiert wird. Die USA blockieren alle Hightech-Exporte nach China. Nicht einmal Computer dürfen exportiert werden, obwohl China sie selbst in andere Länder exportiert. Die technische Kontrolle der Amerikaner ist sehr streng. Deshalb fragen wir sie: Wie wollt ihr eine ausgeglichene Handelbilanz mit uns bekommen, wenn ihr nur Äpfel und Sojabohnen exportiert?
Nun sorgen sich aber nicht nur die USA vor einem Technologie-Ausverkauf nach China.
Kein Land kann ewig Führer der wissenschaftlichen Entwicklung sein. Während der Tang-Dynastie kamen 47 Prozent aller Entdeckungen aus China. Diese Position haben wir lange verloren. Aber der Wechsel in der Technologie-Führerschaft ist immer eine gute Sache. Er stimuliert den Wettbewerb für Ideen in der ganzen Welt.
Will China neben technologischer Führerschaft auch militärische Überlegenheit?
China sollte seinen Militärhaushalt ausbauen, ebenso wie die EU. Ohne echte militärische Fähigkeit wäre China auf Dauer nur ein zweites Japan.
INTERVIEW: GEORG BLUME