RUANDAS KONGO-OFFENSIVE ZEIGT: UN MÜSSEN IHREN ANSPRUCH ÄNDERN
: Vergesst den Friedensprozess

Die neue Krise im Afrika der Großen Seen kommt zu einem Zeitpunkt, zu dem die internationale Gemeinschaft mehr denn je an Fortschritte glaubte. Erst vor zwei Wochen unterzeichneten die Staaten der Region auf einer Konferenz ein historisches Abkommen zur gegenseitigen Stabilisierung und verkündeten eine neue Ära des Friedens. Wenn da jetzt Ruanda erneut im Kongo militärisch eingreift, drängt sich ein simpler Gedanke auf: Ruanda hat böswillig die euphorische Stimmung ausgenutzt, um heimlich wieder alles zu verderben.

Das allerdings geht an der Realität vorbei. Denn die Friedensabkommen und schönen Worte der Politiker in dieser Region sind größtenteils Schein. Die Wirklichkeit im Osten der Demokratischen Republik Kongo besteht nicht aus Friedensprozess und Wiederaufbau, sondern aus andauernder Gewaltherrschaft und himmelschreiendem Elend. Und im Wettlauf zwischen Schein und Wirklichkeit siegt irgendwann immer die Wirklichkeit.

Ganz überraschend kommt Ruandas Aktion sowieso nicht. Das Friedensabkommen für die Großen Seen verpflichtete alle Unterzeichner zur gegenseitigen Unterstützung unter anderem bei der Neutralisierung der ruandischen Hutu-Milizen im Kongo. Ruanda hat das nur ziemlich eigenwillig interpretiert.

Nun ist die internationale Gemeinschaft, vor allem die UN, ratlos. Sie würde gerne den Friedensprozess im Kongo retten; weiß aber nicht, wie, und sagt deshalb möglichst überhaupt nichts. Vielleicht sollte sie ihren Anspruch ändern. Vergesst den Friedensprozess: Es geht darum, in Kongos Kriegsregionen Frieden überhaupt erst herzustellen. Erst dann hätte ein politischer Friedensprozess die Chance, den Übergang vom Schein zur Wirklichkeit zu meistern.

Das bedeutet Abschied von einigen lieb gewonnenen Illusionen, etwa von der, dass in Kongos Hauptstadt Kinshasa eine handlungsfähige Regierung sitzt, oder dass die Stabilität Ostkongos von der Zahl der dort stehenden Blauhelme abhängt. Aber gemessen an all den Qualitäten eines menschenwürdigen Lebens, von denen die Kongolesen längst haben Abschied nehmen müssen, ist das nicht zu viel verlangt. DOMINIC JOHNSON