Täter frei, Opfer müssen warten

Amnesty international beklagt den Umgang Spaniens mit polizeilicher Gewalt: Die Täter werden zu mild bestraft, die Opfer nur unzureichend oder gar nicht entschädigt

Es fehlt an politischem Willen, um Folter und Misshandlung abzustellen

MADRID taz ■ Amnesty international (ai) kritisiert Spanien scharf. In einem gestern in Madrid, Barcelona und Vitoria vorgelegten Bericht mit dem Titel „Spanien, Schluss mit der doppelten Ungerechtigkeit“ untersucht die Menschenrechtsorganisation 450 Fälle von Folter und Misshandlungen in Polizeirevieren und Gefängnissen im Zeitraum von 1980 bis 2004. In allen Fällen erging ein rechtmäßiges Urteil gegen die verantwortlichen Beamten. Dennoch kommen die Täter oft ungeschoren davon. Entschädigungszahlungen an die Opfer von Polizeigewalt fallen, soweit sie überhaupt vom Richter angeordnet wurden, sehr niedrig aus.

„Spanien schützt die Rechte der Opfer nicht genügend“, beklagt sich der Vorsitzende von ai in Spanien, Esteban Beltrán. 40 Prozent der Folterverfahren dauerten zwischen fünf und zehn Jahren. 27 Prozent der Opfer mussten zehn bis 15 Jahre auf das Urteil warten und 16 Prozent gar 15 bis 20 Jahre. Nur in 16 Prozent der Fälle wurde in weniger als fünf Jahren Recht gesprochen. Am längsten müssen jene Folteropfer auf ein Urteil warten, die wegen Terrorismusdelikten einsitzen.

Ein Entschädigungsgesetz gibt es nicht. Die Richter ziehen deshalb wenn überhaupt die Regelungen heran, die bei Vergehen im Straßenverkehr zum Einsatz kommen. 80 Prozent der den Opfern zugestandenen Entschädigungen sind geringer als 3.000 Euro. Jedes dritte Opfer bekommt gar weniger als 600 Euro. „Es ist mehr als Besorgnis erregend, dass viele Opfer überhaupt nicht entschädigt werden, obwohl die Folterfälle gerichtlich erwiesen sind“, beschwert sich Beltrán bei der Vorstellung des ai-Berichtes.

Zwar geht ai davon aus, dass in Spanien längst nicht mehr systematisch gefoltert wird, dennoch gehen regelmäßig Anzeigen wegen Misshandlungen bei der Menschenrechtsorganisation ein. Vor allem Immigranten würden immer öfter Opfer rassistischer Gewalt seitens von Polizeibeamten.

Um Folter und Misshandlung abzustellen, fehle es, so der Vorwurf von ai, am politischen Willen. Viele der verurteilten Beamten kommen entweder mit sehr niedrigen Strafen davon, und können damit im Polizeidienst bleiben, oder sie werden gar begnadigt.

Trotz wiederholter Proteste der Vereinten Nationen – der letzte Bericht des UN-Folterbeauftragten datiert vom Anfang diesen Jahres – blieben alle bisherigen Regierungen untätig. In einer regierungsamtlichen Antwort auf den letzten Bericht heißt es, er sei „voller faktischer Fehler“, „nicht unparteiisch“ und er erstelle „keine tief greifende Analyse der spanischen Realität“.

REINER WANDLER