Minimaler Aufriss, maximale Wirkung

Der charmanteste Bierspeck im Universum Pop: The Strokes spielten in der Arena konsequent komprimierten Rock ohne Mätzchen und große Gesten, leider aber auch ohne Zugabe. Trotzdem gilt auch im Jahr nach dem Hype: This is it!

Von manchen Depressiven wird berichtet, dass sie sich in ihren dunkelsten Momenten nicht auf, sondern unter die Matratze legen. So wird der innere Druck auf äußeren verschoben. Vielleicht wäre das eine Erklärung für die Menschenmengen in den Konzerten, die sich, je unwirtlicher die Welt da draußen, immer enger vor der Bühne zu drängen scheinen. Nass geschwitze Oberkörper überall, Druck von links, Druck von rechts, und dann endlich auch der lang erwartete Druck auf dem Trommelfell. Es verspricht gemütlich zu werden.

Es ist ein Phänomen, das zu erklären nicht leicht fällt: Die Strokes unternehmen auf der Bühne überhaupt nichts Besonderes. Alle Musiker stehen brav nebeneinander gereiht und konzentrieren sich ganz auf ihr Zusammenspiel. Der Sänger, Julian Casablancas, hat sich eine dunkelrot getönte Sonnenbrille aufgesetzt, verfügt höchstens über vier Posen und gibt auch sonst überhaupt nichts preis. Gitarrist Albert Hammond wackelt ein bisschen mit seinen Locken im Takt, und Bassist Nikolai Fraiture, der mit der komischen Topffrisur, hat den Arm in denselben Winkel gestellt wie sein Instrument und wirkt überhaupt eher wie ein starrer Prinz Eisenherz als wie ein Mitglied der heißest geliebten Band seit Velvet Underground. Die New Yorker Band, die als Retter des Rock ’n’ Roll gilt, macht kaum was her. Und trotzdem erzeugt sie Euphorie, absolute Dichte, eine Art enge, runde Glückskapsel, die einen noch eine ganze Weile wärmen und sogar sicher ins neue Jahr befördern wird.

Schon Wochen und Monate vor dem Konzert war in unzähligen Partygesprächen angeregt worden, dass man es diesmal mit dem Strokes-Konzert vielleicht doch besser sein lassen sollte. Die Argumente, die dagegen sprachen, waren mannigfaltig und schwerwiegend: dass sie inzwischen im Mainstream angekommen seien, ihre zweite Platte viel lahmer sei als die erste und sie bestimmt auch viele lästige Abiturienten aus der westdeutschen Provinz, zukünftige Jurastudenten und andere Nachzügler anlocken werden, einerseits, dass es sich bei den Strokes vor allem um die totgehypten Darlings des Musikjournalismus handele – wofür die bis zuletzt nicht ausverkaufte Arena sprach –, anderseits. Doch stellte das Konzert am Ende noch die skeptischsten Zweifler in die Ecke.

Die Abiturienten, die sich zwischen einigen vierzig- und fünfigjährigen Rockisten angenehm relativierten, stellten sich als besonders freundliche Spezies heraus, die einem sogar anbot, sich anderntags mit ins Auto nach Bayern zu setzen und die Weihnachtsferien einfach vorzuziehen. Und dass die Arena, dieser zugigste Ort mit der schlechtesten Akustik aller Veranstaltungsorte der Stadt, nicht voll war, machte sich in einem Raum kaum bemerkbar, der vor guter Laune fast platzte. Selbst im Moshpit, von 50 Grad und 95 Prozent Luftfeuchtigkeit beherrscht, sickerte der zähe Kartenvorverkauf nur insofern durch, als genug Platz war, um noch das wildeste Staged-Diving mit höflichen Anfragen einzuleiten.

Dass die Strokes am Ende nur 55 Minuten spielten, sich zu keiner einzigen Zugabe hinreißen ließen und weder eines ihrer großartigsten Lieder, „Is This It“, noch vielleicht mal einen bislang nicht bekannten neuen Song spielten, passte wunderbar zu ihrem minimalen Aufriss mit maximaler Wirkung. Und als Julian Casablancas, der Mann mit dem charmantesten Bierspeck und den schönsten Oberschenkeln im Universum Pop, dann doch noch kurz die Sonnenbrille abnahm und sich auf die Absperrung vorm Konzertgraben stellte, ging ein einziges ekstatisches Brausen durch die Menge. Das war besser als Yogitee und Lebkuchen, besser als Sauna und Solarium, besser als jede lächerliche Krücke für Fröhlichkeit, die man sich über den Winter zulegen kann. SUSANNE MESSMER