Im Augenblick der Freiheit

In der Türkei galt der Sänger Sivan Perwer einst als Symbolfigur des kurdischen Befreiungskampfs. Sein Konzert in Berlin fiel mit der guten Nachricht von der Festnahme Saddam Husseins zusammen

Von DANIEL BAX

Für die meisten Kurden hatte der Tag mit einer guten Nachricht begonnen: der Verhaftung von Saddam Hussein. Seinen Auftritt begann der kurdische Sänger Sivan Perwer denn auch mit einem Stück, das er eigens für diesen Abend komponiert hatte. „Dies ist unser Tag, ein Feiertag für alle Kurden“, verkündete er darin mit leichtem Pathos, und schlug den Bogen zum Allgemeinen: „Die Zeit der Diktaturen läuft ab.“

Dennoch war die Stimmung vor dem Konzert angespannt, es wimmelte nur so von Security-Leuten. Mit roten Armbinden zeigten sie vor dem „Haus des Rundfunks“ am Berliner Funkturm unauffällig Präsenz, und positionierten sich auch im Sendesaal des einstigen SFB. Im vergangenen Jahr war es am Rande eines Konzerts von Sivan Perwer zu Reibereien zwischen rivalisierenden politischen Fraktionen gekommen, darum der erhöhte Sicherheitsaufwand. Er zeigte aber auch, dass ein solches Konzert noch lange keine Selbstverständlichkeit darstellt.

Denn Sivan Perwer ist eine Symbolfigur aus jener Zeit, als jede Äußerung in der lange verfemten Sprache bereits ein Politikum darstellte. Seinen Gesten haftet noch immer viel vom alten Geist der Selbstbehauptung an. Die Pluderhosen und Stoffgürtel, mit denen er und seine Musiker in Peschmerga-Kluft auf die Bühne treten, lassen die Band aussehen, als wäre sie geradewegs aus den irakischen Bergen hinabgestiegen. Über ihnen prangt eine kurdische Fahne in den Farben grün, weiß und rot, in der Mitte eine gelbe Sonne. Der Sänger selbst trägt, als Ausweis seiner Autorität, das traditionelle Stofftuch Cefi um den Kopf gebunden. Seit dreißig Jahren wirkt er unverändert, auch wenn er sich mittlerweile wohl den Vollbart schwarz färbt.

Auf seinen Aufnahmen, die heute ganz alltäglich auf dem türkischen Kassettenmarkt zu kaufen sind und unbeanstandet die Zensur passieren, greift Sivan Perwer schon mal zu E-Gitarren und Synthesizern. Doch bei seinem Auftritt in Berlin gibt er sich ganz traditionell und akustisch: Mit der Saz-Laute in der Hand, und umrahmt von zwei Geigen, orientalischer Darbuka-Percussion, dem quäkenden Klang der Zurna, einer Art Schalmei, sowie der melancholischen Melodik der Ney, einer Flöte.

So begann der Abend zunächst verhalten: Mit kurdischem Blues, der um klassische Themen wie Großgrundbesitzer, Gefängnisse und Hirtenmädchen kreiste. Erst spät gewann das Konzert an Format: Als Sivan Perwer ein eindringliches Klagelied auf die Stadt Halabdscha anstimmte, die Opfer eines Giftgasangriffs und zur Chiffre für die Unterdrückung der Kurden wurde. Und danach ein Stück folgen ließ, das vom Kampf gegen einen Drachen handelte.

Es ist diese Mischung aus traditionellem Volkslied und modernem Protestsong, mit der Sivan Perwer einst seinen Ruf begründete. Geboren im ostanatolischen Urfa, wuchs er mit den Mythen und epischen Märchen der Kurden auf. Als Student an der Universität in Ankara nahm er erste Songs auf, die unter der Hand zirkulierten, denn in der Türkei blieb die kurdische Sprache bis in die Neunzigerjahre hinein verboten. Den Peschmerga-Kämpfern im Irak diente seine Musik genau so als Motivation wie den politisierten Studenten in der Türkei.

Sivan Perwer selbst floh dagegen schon 1976 ins Exil, nach Schweden und Deutschland. Dort lernte er Deutsch, und so versieht er seinen Vortrag gelegentlich mit deutschen Erläuterungen: Auch wenn die, bis auf ein paar prominente Gäste wie Angelika Beer von den Grünen, kaum jemand im Saal benötigt.

Stattdessen verwandelt sich das Auditorium zum Schluss in einen Festsaal: Kinder tollen durch die Reihen, es wird viel geklatscht und mitgesungen, und zuletzt zum unvermeidlichen kurdischen Reigentanz angetreten: Erst die jungen Mädchen, die sich in hochhackigen Schuhen in den komplizierten Schritten der Dorftänze üben, dann haken sich die Jungs ein. Ein Mann im Anzug gesellt sich zu den Musikern auf der Bühne und rührt die große Trommel. So mündet auch dieser Abend zum Schluss in eine Art kurdisches Familienfest.