Die zwei Bärte des Tyrannen

Trennung von natürlichem und politischem Körper: die Entzauberung Saddam Husseins durch die Bildpolitik

Zu den ersten Maßnahmen, die die US-Armee nach der Festnahme Saddam Husseins gegriffen hat, gehörte eine Rasur. Die Amerikaner haben ihn medizinisch untersucht, haben eine DNA-Probe entnommen, und dann haben sie ihn rasiert. Natürlich, eine erkennungsdienstliche Maßnahme, um anschaulich zu machen, dass es sich hier tatsächlich um Saddam handelt. In alle Welt gesendet haben die Amerikaner dann aber vor allem die Bilder mit Vollbart und wirrem Haar, und alle Medien haben sie begierig aufgegriffen: ein alter, müder Mann beim Arzt. Es liegt ein eigentümlicher Triumph in dieser Bildpolitik; um ihm nachzugehen, kann man auf die Lehre von den zwei Körpern des Königs verweisen.

Englische Rechtsgutachten haben sich bereits in elisabethanischer Zeit auf diese Theorie berufen. Sie haben zwischen dem natürlichen Körper (body natural) und dem politischen Körper (body politic) eines Königs unterschieden; der politische Körper wurde dabei als einer begriffen, den man weder sehen noch anfassen kann: „Er besteht aus Politik und Regierung, er ist für die Lenkung des Volks und das öffentliche Wohl da. Dieser Körper ist völlig frei von Kindheit und Alter, ebenso von den anderen Mängeln und Schwächen, denen der natürliche Körper unterliegt.“ Mit einem so verstandenen body politic hatte der aufgegriffene Leib Saddam Husseins nicht das Geringste mehr zu tun.

Der Triumph der Amerikaner über die Ergreifung selbst hinaus liegt also darin, dass sie gezeigt haben, dass der Körper Saddam Husseins mit dem body politic nicht mehr verbunden ist. Zu sehen gab es nur den body natural, mit all seinen Mängeln und Schwächen. Ohne den politischen Körper sieht der natürliche Körper eines Diktators aber fast obszön nackt aus. Wer wollte noch für einen Menschen in den Tod gehen, der nicht einmal mehr kontrollieren kann, wer vor aller Öffentlichkeit in seine Mundhöhle guckt? Mehr kann man einen Tyrannen nicht entzaubern.

Allerdings wird das zum einen gegen Fanatiker auch nicht helfen. Zum anderen werden die Amerikaner den Eindruck wieder herstellen müssen, dass dieser zerbrechliche Körper zumindest einmal auch einen politischen Körper besaß – spätestens dann, wenn Saddam Hussein der Prozess gemacht werden wird. Mit der Rasur haben sie den ersten Schritt auf diesem Weg bereits getan: Angeklagt werden soll der Saddam mit Schnauzbart, nicht der alte Mann mit Vollbart. DIRK KNIPPHALS