Als die Kinder ihre Revolution fraßen

Oder: Warum man Kühe, die man schlachtet, nicht melken kann

Knapp ein halbes Jahr ist es nun her, dass Berlin auf den Beinen war. Während damals ein braun-buntes Süppchen der deutschen Gesellschaft, angefangen bei der PDS, querbeet durch den bürgerlichen Einheitsbrei bis zur NPD, durch Straßen und Medien schwappte (ja selbst die Grünen waren mal wieder gegen den Krieg) und sich, unter der Regenbogenfahne vereint, vor dem neuen Selbstverständnis der Nation verneigte, sind es nun die Studierenden, die protestieren.

Doch ganz so allein stehen sie gar nicht da. Solidarisierungen von unerwarteter Seite sammeln sich wie die Geschenke unter dem Weihnachtsbaum eines Schlüsselkinds. Wirtschaft, Industrie, unser ehemaliger Bürgermeister Diepgen, selbst die kürzende Koalition mit Klaus Wowereit an der Spitze fänden das alles irgendwie gut und richtig, bliebe es denn beim entspannten Kaffeekränzchen im vorweihnachtlichen Charme der Belanglosigkeit und Nächstenliebe. Die PDS zerfließt schon fast vor Selbstmitleid über ihre Rolle als Sündenbock; herzensgerne würde sie an die Studierenden verteilen, gäbe es denn etwas. Wer dies nun mit dem üblichen Schmunzeln des Zynikers als Beschwichtigung abtut, sieht sich von der Gewohnheit getäuscht: Investitionen in die Bildungseliten sind schließlich Investitionen in die neoliberale Zukunft dieses Landes. Angenommen, nicht jedes im Ausland ausgebildete Nachwuchsgenie zieht das kalte und verregnete Deutschland dem sonnigen und vergnügten Florida vor, werden wir wohl auch künftig auf die eigene Produktion gut verwertbaren Nachwuchses angewiesen sein, um mittelfristig der Konkurrenz im globalen Kapitalismus nur noch zwei Schritte hinterher zu sein.

Doch zurück zum illustren Beistand der Streikenden. Das anfängliche Staunen weicht schnell der frustrierten Einsicht: Das vom Chor der Studierenden angestimmte Trauerlied liegt gar nicht so weit abseits des Tonfalls der Reden jener, sei es auch nicht mit einer Stimme. So erklärt sich beispielsweise das Symptom, den derzeitigen Prostest in nette Studierende und böse Linke zu spalten. Jedweder Protest, der sich brav auf Bildung beschränkt, ohne aus der Reihe zu tanzen oder gar Gesetze zu verletzen, ist erwünscht, weiter gehende Inhalte und unwillkommene Formen dagegen werden mit Polizeiübergriffen und Repressionen beantwortet. Egoistische Beschränktheit ist zukunftsfähig.

Fast schon ein wenig zu belächeln die Einfachheit dieses Musters, so passt es doch vielen der Studierenden nur allzu gut in den Kram, groß die Angst, sich selbst in stigmatisierten Kategorien wiederzufinden, das Bestehende weiter gehend zu hinterfragen, einen Schritt zu viel in die falsche Richtung gedrängt zu werden. Protest light steht auf dem Speiseplan, freundlich serviert von unseren Helden aus Politik und Wirtschaft.

Vereinfacht? Sicherlich.

Übertrieben? Keineswegs.

So sind Transparente mit Botschaften wie „Wir sind die Zukunft dieses Landes“ oder „Kühe, die man schlachtet, kann man nicht melken“ (kein Witz) weniger Ausnahme denn Regel.

Eigenartigerweise noch nichts wie „Sozialschmarotzer bekämpfen – Arbeitslosengeld kürzen für die Unis“? Der Kreativität sind hier keine Grenzen gesetzt, sitzt man doch im sicheren Boot der Elite in spe. Der schale Beigeschmack dieses Egobonbons lässt sich auf die einfache Formel reduzieren: Sparen, ja bitte – aber nicht bei mir.

Der Sachzwang hat Einzug gehalten in die Gemüter der Studierenden.

Nicht gänzlich überraschend in diesem gesellschaftlichen Klima des „Individualismus“ (manchmal von bösen Zungen als Egoismus verschrien). Nein, mit leeren Händen möchte nun wirklich niemand dastehen. Nicht dass diese Perspektive nicht jedem wohl bekannt und verständlich wäre, zu entfernt und ungreifbar scheint doch jede alternative gesellschaftliche Möglichkeit zu sein. Die Folgen sind jedoch in ihrer Konsequenz zumindest problematisch, denn sollte sich die Regierung dieses Bundeslandes dazu durchringen, die Kürzungen an den Universitäten auf andere Gebiete umzulegen, werden zugunsten der zukünftigen Elite noch weniger Eltern ihre Kinder in Kitas unterbringen können, noch mehr Kultur wird die Spree hinunterfließen, oder 40 statt 35 Schüler werden in Berliner Grundschulklassen sitzen.

Doch bei aller Kritik, der Kopf im Sand sieht selten seine Umwelt klar, und so möchte ich die Situation auch nicht zu schwarz malen. Seit dem Beginn der Streiks sind bei einigen Studierenden heftige Auseinandersetzungen über die „schönen“ Dinge, die da harren, geführt worden, sowohl universitätsspezifisch wie weiter gefasst, Polizeieinsätze haben das Ihre getan, den Sand in den Augen anzukratzen. Sollte dieses Phänomen sich zu einer dauerhaften Bewegung entwickeln, gibt es durchaus das Potenzial, durch Vernetzung mit anderen Gruppen und Erweiterung der eingeschränkten Hochschulperspektive über sich hinauszuwachsen.

Ruhig etwas weniger Studenten und etwas mehr Revolte.