Konventioneller Pop

Nichts ist böse gemeint an der Arte-Doku über die Geschichte von Pop und Politik. Alles ist bloß schon tausendmal gehört worden (23 Uhr)

von JAN FEDDERSEN

Hannes Rossacher und Rudi Dolezal sind die Champs der populären Unterhaltungsmusik im Fernsehen. Sie gelten als Pioniere, weil sie (damals neuartige) Videoclips mit Nena, Herbert Grönemeyer und Peter Maffay drehten. Das war für ihr Empfinden ausreichend – später, als sich auch bei ARD und ZDF jüngere Fernsehmacher durchsetzten, war es Zeit, das Widerständige der Popmusik in den Öffentlich-Rechtlichen zu platzieren. So kamen sie zu weiteren Aufträgen, die oft preisgekrönt wurden.

Durch das Stahlbad der Quote mussten beide nie. Arte ist deshalb das Forum, das Dolezal und Rossacher gerne betreten – dort läuft seit Mitte November ihre sechsteilige Serie zur Geschichte von Pop und Politik, die heute endet. „What’s going on?“, heißt es fragend. Auch diese Schlussepisode belegt eine gewisse Konventionalität der Sichtweise.

Eigentlich ist nichts falsch an den insgesamt fünfeinhalb Stunden, besser: fehlerhaft im Sinne des Bewusstseins der aufrührerischen Schichten seit Ende der Sechzigerjahre. Alles wurde in die Serie gepackt. Niemand ist wirklich desillusioniert, weder Bob Geldof wegen der von ihm initiierten Live-Aid-Benefizgeschichte 1985 noch Mary (von Peter, Paul & Mary), die sich wie alle (ob nun Mick Jagger, Harry Belafonte, Joan Baez, Bruce Springsteen) gern erinnert an eine Zeit, als jede dem Protest gewidmete Note für subversiv gehalten wurde.

Alles ist gründlich eingeordnet, ein bibliografisches Grundlagenwerk sozusagen: In Amerika werden Schwarze unterdrückt, obendrein Vietnam oder der Hunger in Afrika, außerdem irgendwie Aids, schließlich Biafra, die Riots in den Banlieue, Anti-AKW-Kämpfe. Alles in allem ein Weltanschauungssammelsurium dessen, was das rot-grüne Gewissen weltweit im Kopf hat, wenn es an populäre Musik denkt: Das sind eben die Bildungsbürgerkinder, welche sich von den Eltern mit Rock oder Pop abgrenzten.

Der Kern dessen, was mit dem Rock ’n’ Roll begann, ist nicht mit Begriffen wie Aufstand und Revolution zu beschreiben, sondern mit dem schlichten Credo: Das Leben ist nicht gut, es möge besser werden. Möglicherweise ist diese Perspektive jedoch zu schnöde – dann nämlich wäre der Protestbegriff auch in ästhetischer Hinsicht radikaler zu fassen und entsprechend in der großen Erzählung namens Pop durchzudeklinieren: Was das wäre, lässt sich an jenen Stars belegen, die Rossacher und Dolezal nicht würdigen. Dusty Springfield, Diana Ross, Sammy Davis jr., Elvis Presley, Cornelia Froboess, Françoise Hardy: Interpreten, die mit einem vordergründigen Politwesen nichts zu schaffen hatten – aber doch stets Songs interpretierten, die wirklich charttauglich waren, weil sie eben vom besseren Leben handelten. Sie repräsentieren sozusagen die Lebensfreude, die in der Sichtweise der Achtundsechziger nur dann gültig ist, wenn sie dem politischen Ziel dient.

Die Dokumentation ist sozusagen der musikalische Beweis, dass die Liberalisierungen in den westlichen Ländern mit den studentischen Protestjahren Ende der Sechziger begann. Die Bresche, die ein Elvis schlug (für die Idee der Sexyness jenseits des Afroamerikanischen) oder eine Diana Ross (mit ihrem Motown-Background), die für den Feminismus objektiv heftiger warb als Janis Joplin – diese Breschen haben Rossacher und Dolezal nicht im Blick.

Und so endet ihre Serie in Grübeleien zum Wechselspiel von Pop und Politik. Weshalb sie nicht noch eine siebte Folge drehten, der Frage nachgehend, weshalb die Politisierung der Unterhaltungsmusik seit dem 11. September 2001 irgendwie erlahmt scheint, ist einleuchtend: Die Freund-Feind-Kategorien stimmen seitdem nicht mehr, die Vergötterung des Drittwelthaften ist abgekühlt. Schade, dass Arte nicht etwas Experimentelleres in Auftrag gegeben hat. Es wäre eine vielleicht fragile Suchbewegung gewesen, an deren Ende ein Scheitern gestanden hätte. Aber diese Nummer-sicher-Geschichte, die heute Abend endet, ist nur langatmig.