Wo war Saddams letzte Kugel?

Der Exdiktator des Irak findet Hohn und Spott, aber auch Mitleid in der arabischen Welt: „Wieder einmal war die Legende größer als der Mann“

AUS KAIRO KARIM EL-GAWHARY

Irak, das ist ein zweigeteiltes Land. Der Riss zieht sich durch Bezirke, Städte, Viertel. In einem Haus herrscht Trauer, wie bei dem sunnitischen Kinderarzt Alla Abdallah, der in Maysanuoun, einem religiös gemischten Viertel im Osten der irakischen Hauptstadt, wohnt. Der hatte sich nach der Verhaftung Saddams erst einmal für ein paar Tage krankgemeldet. Die Fensterläden sind verschlossen. Wie viele Sunniten hat er das Gefühl des Verlustes. Bei den meisten Sunniten hat sich ein Gefühl der Niederlage breit gemacht, auch wenn sie durchaus nicht alle Anhänger Saddam Husseins waren. Im Nachbarhaus wird dagegen gefeiert. Die schiitische Familie hat die Musik laut gedreht und die Nacht durchgetanzt. Eine der Töchter war vor Jahren von Saddam Husseins Geheimpolizei mitgenommen worden und war seitdem nie wieder aufgetaucht.

Nur in einem sind sich alle Iraker einig: In ihrem Hunger nach mehr Informationen über die genauen Begleitumstände der Verhaftung Saddams. Die meisten arabischen Zeitungen, vor allem die überregionalen, waren bereits in den frühen Morgenstunden in Bagdad ausverkauft. Etwa die Tageszeitung al-Hayat, die mit der Schlagzeile aufmachte: „Er hat keinen Widerstand geleistet … und er zeigt keine Reue“. Wie andere Blätter zieht die Zeitung höhnisch über die Verhaftung her. „Wo war die Pistole, die er stets bei sich trug und von der er immer behauptete, die letzte Kugel sei dafür gedacht, den Feinden die Freude seiner Verhaftung zu nehmen“, schreibt die Zeitung. „Wo war die Pistole an der Schläfe und wo war die letzte Kugel?“, fragt das Blatt. Und fährt fort: „Armer arabischer Mensch, wieder einmal war die Legende größer als der Mann“.

Allerorten in der arabischen Welt bilden die Fernsehbilder des verstörten, ungepflegten, vollbärtigen, unrasierten Exdiktators das wichtigste Gesprächsthema. Viele Ägypter zeigten sich schockiert. „Ob für oder gegen Saddam Hussein, diese Bilder sind vollkommen entwürdigend nicht nur für Saddam, sondern für alle Araber“, hörte man in Kairo immer wieder. In Kuwait, dem Golfstaat, der 1990 von Saddams Armee überfallen worden war, machte dagegen am Dienstag über die mobilen Telefone eine SMS die Runde: „Der ehemalige irakische Informationsminister Muhammad Sahaf streitet die Festnahme Saddam Husseins heftig ab und erklärte, es handele sich bei dem Verhafteten um den irakischen Weihnachtsmann.“

Die ägyptische Tageszeitung al-Ahram fasst die äußerst unterschiedliche Gefühlslage in den verschiedenen arabischen Staaten zusammen: „In Kuwait herrscht Zufriedenheit, Saudi-Arabien schweigt, Jordanien appelliert, die Vergangenheit zu begraben, die Syrer fordern die baldige irakische Souveränität und die Palästinenser reden wieder einmal von der großen Verschwörung.“

Doch überall wird die Frage behandelt, wie sich die Verhaftung Saddams auf die politische Zukunft des Irak auswirkt? „Saddams Verhaftung hat das Selbstbewusstsein der Besatzer gestärkt, aber diese neue Energie ist kein Ersatz für eine effektive Politik“, schreibt die libanesische Tageszeitung Daily Star. Vielfach wird zurückgegriffen auf das arabische Sprichwort vom Stock, der genau in der Mitte steht, und niemand weiß, wohin er fällt. „Alles ist offen“, kommentiert al-Hayat. „Die Amerikaner haben in ihrer achtmonatigen Besatzung viele strategische Fehler begangen, und die lösen sich nicht durch die Verhaftung Saddams einfach auf“, heißt es dort. Außerdem resultierten viele der Dinge, mit denen die Amerikaner zu kämpfen haben, aus der komplizierten Zusammensetzung des Landes aus Sunniten, Schiiten und Kurden, und das hätte nur bedingt mit den drei Jahrzehnten Schreckensherrschaft Saddams zu tun, heißt es weiter.

Nur wenige glauben, dass es für die Amerikaner tatsächlich einfacher wird. Auf den Straßen Bagdads kursiert dazu bereits ein neuer Witz: „‚Gott segne Amerika: endlich haben wir ihn‘, sagt Bush erleichtert und greift zum Telefon, um Saddam Hussein unverzüglich anzurufen. ‚Bitte Saddam, verrate uns dein Geheimnis. Nein. Ich meine nicht die Massenvernichtungswaffen. Aber sag uns doch: Wie hast du es geschafft, dieses vollkommen unregierbare Land drei Jahrzehnte lang zu kontrollieren.‘“

Ernsthaft setzten sich die arabischen Medien dagegen mit der Frage auseinander, wie es mit dem militärischen Widerstand gegen die Besatzung weitergeht. „Die Fronten werden sich nun klären“, ist eine These, die sich immer wieder findet. Diejenigen, die mit den Amerikanern zusammenarbeiten wollten, können das nun offen tun. Die Angst, das alte Regime könnte zurückkehren, ist endgültig verflogen. Aber das gilt genauso für die andere Seite. Manche haben gezögert, sich der irakischen Guerilla anzuschließen, weil sie nicht mit dem Exdiktator assoziiert werden wollten. Nun können sie ihrem Ärger über die Besatzung freien Lauf geben. „Viele“, glaubt die libanesische Daily Star, „werden ihre Wahl nun vom Verhalten der Amerikaner abhängig machen.“