vermittlungsausschuss
: Operation Wiedervorlage

Operation Wiedervorlage – so ließe sich der Kompromiss im Vermittlungsausschuss auch beschreiben. Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe: verschoben. Die Gemeindefinanzreform: kommt vielleicht nie. Die komplette Steuersenkung: findet auch erst im Jahr 2005 statt. Die Tarifautonomie: Man wird sehen, ob sich Arbeitgeber und Gewerkschaften einigen.

Kommentarvon ULRIKE HERRMANN

Da wirkte es ein wenig lächerlich, als SPD-Generalsekretär Olaf Scholz gestern jubilierte, es sei die „größte Reform seit der Wiedervereinigung“ zu feiern. Welche Reform?

Spott ist einfach, aber oft auch zu einfach. Faktisch hat sich zwar wenig getan – und dennoch hat sich die Bundesrepublik sehr verändert. Im Rückblick wird das Jahr 2003 wahrscheinlich als eine Epochenschwelle, als ein Paradigmenwechsel beschrieben.

Dieser Wandel ist bisher rhetorisch, symbolisch. Es begann mit der Regierungserklärung des Kanzlers im März; damals stellte Schröder die „Agenda 2010“ vor. Sie ist zwar weitgehend Ankündigung geblieben – aber das mindert nicht ihre Macht. Schröder ist es gelungen, die Republik neun Monate lang zu beschäftigen. Er bestimmte die Debatten – und die Debatten endeten nicht mehr.

Dieses Palaver ist nicht folgenlos. Der WG-Spruch „Schön, dass wir darüber geredet haben“ ist nicht doof. Selbstverständlichkeiten verschieben sich. Was vorher undenkbar war, kann hinterher nicht mehr schockieren. Reden stumpft ab.

Die Dauerdebatten haben viele Deutsche überzeugt und bestärkt, dass der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar sei. Sie glauben spätestens jetzt, dass der Bürger sein Schicksal „eigenverantwortlich“ steuern muss. Rechte gibt es zwar auch, aber nun wird die Pflicht betont. Vor allem bei Arbeitslosen.

Meist wird symbolische Politik irgendwann faktisch – wenn sie neue Mehrheiten herbeigeredet hat. Im Vermittlungsausschuss war dies zweimal zu besichtigen: Der Kündigungsschutz ist gelockert und jeder Job gilt als zumutbar. Weitere Härten werden folgen. Eben Operation Wiedervorlage.