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: Versuch einer Neubestimmung: Das Entsendegesetz für die Bundeswehr

Etwa 50 militärische Auslandseinsätze hat der Bundestag seit 1994 beschlossen. Nicht einer davon wurde durch das parlamentarische Verfahren verhindert oder auch nur nennenswert verzögert. Wofür wird dann also überhaupt ein Entsendegesetz gebraucht? Unglaubwürdig klingt die Behauptung, die bisherige Praxis sei allzu kompliziert gewesen und könne sogar die Kontinuität der deutschen Außenpolitik gefährden. Der Verdacht liegt nahe, dass es den eifrigsten Vorkämpfern einer neuen Regelung – die inzwischen beschönigend „Parlamentsbeteiligungsgesetz“ genannt wird – in Wahrheit um etwas ganz anderes ging: nämlich um die Entmachtung des Bundestages.

Diese Entmachtung hat gestern jedoch nicht stattgefunden. Über bewaffnete Einsätze entscheidet auch nach Verabschiedung des neuen Gesetzes das Plenum des Parlaments. Die meisten der – wenigen – Ausnahmen, für die künftig ein vereinfachtes Verfahren gelten soll, könnten sogar im Interesse der Gegner einer militarisierten Außenpolitik liegen: Auf vorhersehbare Entscheidungen wie etwa die Verlängerung bereits bestehender Mandate reagiert nämlich inzwischen ein wachsender Teil der Öffentlichkeit mit routinierter Langeweile. In der irrigen Annahme, so folgenschwer seien militärpolitische Weichenstellungen insgesamt ja offenbar doch nicht. Hier mag das neue Gesetz – vielleicht sogar ungewollt – durch eine erneute Konzentration auf das Wesentliche eine neue Wachsamkeit bewirken.

Bedenklich ist allerdings, dass auch so genannte humanitäre Hilfe der Bundeswehr künftig nicht mehr der parlamentarischen Zustimmung bedarf. Von Somalia bis Afghanistan hat sich gezeigt, dass gerade in zerfallenen Staaten jede Definition in diesem Zusammenhang besonders schwierig ist, und dass angebliche Helfer schnell zu Kombattanten mutieren können. Immerhin: Es gibt jetzt ein explizites Rückholrecht des Parlaments. Aber würden Abgeordnete davon tatsächlich Gebrauch machen, falls sie schon zugestimmt hätten, sich an einer „humanitären“ Operation der USA zu beteiligen? Eine ungeklärte Frage.

Eins steht fest: Union und FDP haben der Regierungsvorlage nur deshalb nicht zugestimmt, weil sie ihnen nicht weit genug geht. Das liefert einen Hinweis darauf, was alles möglich gewesen wäre. Und vielleicht – nur vielleicht – kann das neue Gesetz ja doch ein Baustein im Schutzwall vor weiteren Großmachtträumen sein. BETTINA GAUS

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