Städte kassieren Schweigegeld

Die Kommunen sind die großen Verlierer der Reformeinigung. Statt einer groß angekündigten Gemeindefinanzreform bekommen die Revier-Städte nur ein vorgezogenes Weihnachtsgeschenk

VON MARTIN TEIGELER

Die Städte an Rhein und Ruhr werden abgespeist. Statt einer langversprochenen Gemeindefinanzreform erhalten die hoch verschuldeten Kommunen lediglich Millionen-Almosen. Im Berliner Vermittlungsausschuss hatten sich Bund und Länder geeinigt – auf Kosten der Städte. Eigentlich sollen die Kommunen dauerhaft mehr Geld kriegen, um Kindergärten und öffentlichen Nahverkehr wieder bezahlen zu können. Daraus wurde nichts, und die Städte sind sauer. Essens CDU-Oberbürgermeister Wolfgang Reiniger ist „maßlos enttäuscht“. Gelsenkirchens Rathauschef Oliver Wittke sagt: „Das reicht hinten und vorne nicht.“

Bergkamens Bürgermeister Roland Schäfer, zugleich Präsident des Städte- und Gemeindebundes NRW, spricht dagegen von einem „akzeptablen Kompromiss“. Der SPD-Politiker freut sich über die Absenkung der Gewerbesteuer-Umlage um mehr als zwei Milliarden Euro, die den Kommunen in NRW im kommenden Jahr eine Entlastung von rund 500 Millionen Euro bringt. Angesichts der zu erwartenden Fehlbeträge in den Haushalten der Kommunen von 4,5 Milliarden Euro im Jahr 2004 seien diese Mittel dringend erforderlich, so Schäfer. Die lang versprochene Gemeindefinanzreform sei ausgefallen, räumt der Bergkamener ein. „Meine Stadt wird pro Jahr 1,2 Millionen Euro mehr in der Kasse haben“, rechnet Schäfer vor.

Andere Städte können noch nicht beziffern, wieviel Geld sie durch den Berliner Kompromiss mehr ausgeben können. „Wir haben noch keinen Überblick“, sagt ein Sprecher der Stadt Düsseldorf. In Berlin tagt derzeit noch die Nachkommission des Vermittlungsausschusses, um aus den Vorgaben der Großpolitiker konkrete Gesetze zu machen. „Unser Haushalt ist damit Makulatur“, sagt Gelsenkirchens Oberbürgermeister Oliver Wittke. Mit 25 Millionen Euro Entlastung hatte der CDU-Politiker gerechnet. Jetzt kann es sein, dass es nur fünf Millionen Euro werden. Wittke übt auch Kritik an seiner Partei: „Die Ländervertreter im Ausschuss haben nicht die Interessen der Kommunen vertreten.“ Essens OB Wolfgang Reiniger ist verbittert: „Mit der zwingend notwendigen Gemeindefinanzreform haben die Beschlüsse nichts zu tun.“ Für Essen bedeutet die Rücknahme der Erhöhung der Gewerbesteuerumlage ein Plus von 15 Millionen Euro. Davon werden aber rund elf Millionen durch das Vorziehen der Steuerreform in 2004 gleich wieder aus dem Stadtsäckel verschwinden. Prompt forderte die Bezirksregierung Düsseldorf die Stadt auf, mehr gegen das laufende Haushaltsdefizit von 344 Millionen Euro zu unternehmen. Regierungspräsident Jürgen Büssow verlängerte die Haushaltssperre für Essens Kommunalhaushalt.

Strukturschwache Ruhr-Städte werden durch den Kompromiss benachteiligt. Bei der Gewerbesteuer wird nämlich nur die im Rahmen der Unternehmenssteuerreform aus dem Jahr 2000 vorgenommene Erhöhung der Gewerbesteuerumlage zurück genommen. Davon profitieren nur wirtschaftlich starke Städte, die viel Gewerbesteuer abführen müssen. „Im Ruhrgebiet bringt diese Reform wenig“, sagt Dieter Hötker, Kämmerer des Kommunalverbands Ruhrgebiet. Das Ausbleiben einer Gemeindefinanzreform werde die kommunalen Haushalte im Revier weiter belasten, so Hötker. Schon jetzt haben die Städte im Ruhrgebiet ein Rekorddefizit angehäuft: über 1,5 Milliarden Euro.