Sarrazin kassiert Sozialticket

SPD-Finanzsenator lehnt Debatte über Fahrkarte für sozial Schwache ab. PDS-Sozialsenatorin hingegen kündigt neue Diskussion an. Heute beschließt Verkehrsverbund die neuen VBB-Tarife

von STEFAN ALBERTI
und ROBIN ALEXANDER

Da mag Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (PDS) von neuen Berechnungen sprechen und eine weitere Senatsdiskussion im Januar ankündigen – für Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) gibt es keine Debatte mehr: „Das Sozialticket wurde abgeschafft und bleibt abgeschafft“, sagte er, nachdem der Senat gestern die neuen Bus-und-Bahn-Preise abnickte. Heute entscheidet abschließend der Aufsichtsrat des Verkehrsverbunds Berlin-Brandenburg (VBB). Als die neuen Tarifpläne vor drei Wochen durchsickerten, hatte sich Knake-Werner weit vorgelehnt: „Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen.“ Das gelte weiter, sagt ihre Sprecherin Rositha Steinbrenner. Knake-Werner halte an einem Sozialticket für 39 Euro fest. Es soll nicht nur für Sozialhilfeempfänger, sondern für alle gelten, die im Monat nur bis zu 900 Euro in der Tasche haben. Doch auch bei Verkehrssenator Strieder (SPD) heißt es, die Entscheidung liege nicht beim Senat, sondern bei den Verkehrsbetrieben.

Die neuen Tarife des VBB und der landeseigenen BVG als größter Mitgliedsfirma sehen vor, Sozial-, Arbeitslosenhilfe- und Seniorenticket zu streichen, die jetzt zwischen 20,40 und 39,50 Euro kosten. Für die normale Monatskarte sind ab 1. April 64 Euro fällig. Als Alternative preist SPD-Senator Strieder ein täglich erst ab 10 Uhr gültiges Ticket, das es für 49,50 Euro geben soll.

Kritiker, nicht nur in der PDS, fragen: Und wie bewegen sich sozial Schwache vor 10 Uhr? Im Frauenprojekt Frieda in Friedrichshain will Chefin Astrid Landero von vielen Teilnehmerinnen ihres Sprach- und Integrationskurses gehört haben: „Wir können nicht mehr kommen, die Fahrkarte wird zu teuer.“ Für Landero ein Desaster: „Unsere Kurse sind für viele Frauen die einzige Gelegenheit, mal aus ihrer Familie herauszukommen.“

Nicht nur Knake-Werner, auch PDS-Verkehrsexpertin Jutta Matuschek hatte Korrekturen gefordert, einen „Kurs gegen die eigenen Fahrgäste“ kritisiert. Auch gestern sah sie ohne Sozialkarte das „Grundrecht auf Mobilität“ verletzt. „Wir haben alles versucht, aber wir sind als PDS nicht in den Aufsichtsgremien vertreten. Das macht die SPD.“

Deren BVG-Aufsichtsratschef heißt Sarrazin. Und der sieht die Dinge schlicht: „Die BVG hat überhaupt nur Sozialtickets, das ist ja das Problem.“ Die Firma arbeite nur zu 40 Prozent kostendeckend, „das ist im Wesentlichen eine soziale Veranstaltung“.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz lehnt die neuen Tarife als umweltschädlich ab, weil sie mehr Autoverkehr und damit mehr Abgase prognostizieren würden. Der Fahrgastverband Igeb resümiert: „Ausgerechnet die SPD und die PDS, die das Wort ,sozial‘ in ihren Parteinamen führen, entfernen sich mit großen Schritten von einer sozial gerechten Verkehrspolitik.“

Die Gewerkschaft Ver.di lädt dazu heute um 11.30 Uhr zu einer Protestkundgebung am Hardenbergplatz – dort sitzt der VBB