Ein zwiespältiger Akt der Aufklärung

Ikonografie der Ohnmacht: Bei den vorgeführten Bildern des verhafteten Saddam Hussein geht es um die notwendige Demontage eines Mythos. Aber der Eindruck der symbolischen Demütigung, der aus den Aufnahmen des Exdiktators spricht, könnte sich noch als kontraproduktiv erweisen

Von DANIEL BAX

Sie werden zu den Bildern des Jahres, wenn nicht zu denen des Jahrzehnts gehören: die Aufnahmen des verhafteten Saddam Hussein. Wie er sich, mit zerzaustem Haar einem Obdachlosen gleich, von einem amerikanischen Arzt mit Gummihandschuhen willfährig den Rauschebart inspizieren und in den Mund schauen lässt. Und wie er später, rasiert und in einer Art Trainingsjacke, mit verwirrtem Blick in die Kamera schaut.

Erst mit der Festnahme Saddam Husseins hat der Krieg gegen das alte Regime im Irak seinen symbolischen Endpunkt erhalten. Es mag noch viel Widerstand gegen die amerikanischen Besatzer geben, auch seitens versprengter Saddam-Anhänger. Aber er wird nicht mehr von der Hoffnung getragen werden können, dass damit eine Rückkehr zu alten Verhältnissen möglich wäre. Denn die alten Verhältnisse: das war Saddam Hussein.

In den westlichen Feuilletons kreist die Debatte um die Bilder des vorgeführten Exdiktators vornehmlich um die Wirkung auf ein westliches Publikum, dessen Feindbild einen Riss bekommen hat. Doch im Irak geht es um einen notwendigen Akt der Aufklärung: um die Demontage eines Mythos, den Saddam Hussein selbst aufgebaut hat, und der erst mit seiner Festnahme endgültig zerfallen ist.

Denn der Führerkult im Irak zentrierte sich ausdrücklich um Saddam Husseins Persönlichkeit und seine angeblichen Tugenden. Mit seinem Charakter, seinem Mut und seiner ständigen Kampfbereitschaft sollte er das Ideal des irakischen Mannes verkörpern. Indem er sich auf die Werte einer traditionellen Stammesgesellschaft berief, appellierte Saddam Hussein an breite Bevölkerungsschichten.

Legionen von Bildhauern, Malern und Schriftstellern haben sich an seiner Glorifizierung beteiligt. Zeitweise wurde ein regelrechter pseudoreligiöser Kult um ihn betrieben. In seiner Heimatstadt Tikrit wurden zu seinem Geburtstag gar Prozessionen veranstaltet und Kerzen vor seinem Porträt entzündet. Und in abergläubischen Kreisen wurden ihm gar übersinnliche Fähigkeiten nachgesagt.

Zum Mythos um Saddam Hussein gehörte aber auch stets die Legende, wie er in seiner Jugend an einem missglückten Attentat auf den damaligen irakischen Militärherrscher Kassem beteiligt war. Der Anschlag schlug fehl, Saddam Hussein musste sich verstecken und fand Zuflucht in Syrien. Von dort aus kehrte er zurück, um 1969 an der Machtergreifung der Baath-Partei mitzuwirken. Diese Geschichte lernte im Irak jedes Schulkind. Sie diente als Stoff für unzählige Theaterstücke, Gedichte, TV-Serien und sogar Comics. Und sie gab noch in der Nachkriegszeit Anlass zu der Spekulation, Saddam Hussein halte sich nun wieder versteckt, womöglich in Syrien, um bald erneut an die Macht zurückzukehren.

Diesen Hoffnungen – oder Befürchtungen – setzen die Bilder ein Ende. Doch sie geben auch Rätsel auf: Warum hat die US-Armee ausgerechnet diese Szenen freigegeben? Sicher, sie wollte damit sagen: Wir haben ihn. Es ist der Echte. Und die Speichelprobe beweist einwandfrei seine Identität. Schließlich kursieren in der arabischen Welt schon genügend Verschwörungstheorien, welche die medial vermittelte Realität anzweifeln. Sie werden auch jetzt nicht verstummen, aber vielleicht leiser werden.

Doch die Aufnahmen, die eine demütigende Prozedur dokumentieren, spiegeln auch eine Geste der Unterwerfung. Daraus scheint das Bedürfnis nach einer symbolischen Rache an dem Exdiktator zu sprechen. So, als wolle man sagen: Seht her, er ist ganz harmlos. Und nicht halb so gefährlich, wie er zu Lebzeiten immer behauptet hat. Geradezu Mitleid erregend.

Erstaunlich, dass die Verantwortlichen diesen Aspekt so gar nicht bedacht haben sollten. Und dass sie die fatalen Folgen unterschätzen, die ein falscher Umgang mit dem Exdiktator auf die öffentliche Meinung im Irak und in der Region haben könnte.

Das Mitleid mit Saddam Hussein scheint sich zwar in Grenzen zu halten, das Schicksal des stets großmäuligen Schmalspurdespoten erntet in der arabischen Presse offenbar eher Hohn und Spott. Aber die Bilder des verwirrt wirkenden, doch kooperativen Exdiktators könnten auch neuen Verschwörungstheorien Nahrung geben: Wurde er mit Drogen ruhig gestellt? Auch könnten sie die Frage aufwerfen, ob die USA mit einem gestürzten Potentaten in einem anderen Teil der Welt, etwa mit Milošević, genau so verfahren wären. Oder ob die öffentliche Vorführung, ja Demütigung des irakischen Tyrannen nicht die überhebliche Einstellung der USA gegenüber der arabischen Welt widerspiegelt. Mit dieser Botschaft hätten die USA ihren eigenen Interessen in der Region geschadet.