Holländische Gefühle

Borussia Mönchengladbach steht nach dem 0:6 in Berlin vor den Trümmern einer verfehlten Saisonplanung

DÜSSELDORF taz ■ Dick Advocaat sah nach Spielende aus wie zu seinen schlimmsten Zeiten als niederländischer Nationaltrainer. Der Übungsleiter von Borussia Mönchengladbach schien verzweifelt darüber, wie schlecht sich seine Elf beim 0:6 in Berlin präsentiert hatte. „Ich kann mich nicht erinnern, einmal so hoch verloren zu haben“, gab der kleine kompakte Holländer mit rotgeränderten Augen zu Protokoll. „Das ist nicht möglich“, nuschelte Advocaat. Als „Bondscoach“ hatte er in der Vergangenheit einige niederschmetternde Ergebnisse verarbeiten müssen: Zu seinem Erfahrungsschatz holländischer Fußball-Depressiva gehören EM- und WM-Pleiten. Aber so erschüttert wie am Samstag hat man Desaster-Dick selten gesehen.

„Ostholländer“ werden die grenzländischen Gladbacher von ihren fußballerischen Gegnern in NRW gern genannt. Und mit Advocaat hat der Club den passenden Trainer für dieses Kosewort gefunden. Und so beschlichen die mitgereisten VfL-Fans in Berlin holländische Gefühle: Auf schönen Fußball folgt große Trauer – wie meistens in den Niederlanden. Nach einem hoffnungsvollen Saisonbeginn mit leidlich schönen Spielen – gekrönt durch einen formstarken Neu-Borussen Oliver Neuville im Angriff – hat sich die auch mit dem Stadion-Neubau verbundene Aufbruchstimmung am Niederrhein mit zunehmender Dauer der Hinrunde ins Negative und Niedergeschlagene verkehrt. Gerade vier Pünktchen sammelte die Borussia in fünf Spielen unter Advocaat, zwei Zähler noch trennen den einst ruhmreichen Bundesliga-Club von der Abstiegszone.

Negativer Höhepunkt war das Gastspiel bei der Hertha: Passiv und chancenlos ließ sich das Gäste-Team von den spielerisch und kämpferisch überlegenen Hauptstädtern überrennen. Schon kramen die Gladbacher im Vereinsarchiv und finden prompt wenig ermutigende Beispiele aus der Vergangenheit: Im Herbst 1998 war Gladbach mit einem 1:7 in Wolfsburg zuletzt so deutlich unter die Räder gekommen – und stieg am Saisonende als abgeschlagener Letzter ab. Nur ein einziges Mal in der Historie verlor der VfL höher: 1966 mit 0:7 in Bremen.

Der traurige Dick Advocaat trägt gleichwohl nicht die Hauptverantwortung für die aktuelle Krise in Gladbach. Erst wenige Wochen im Amt, muss er mit jener Mannschaft arbeiten, die sein entlassener Vorgänger Holger „Fachinger“ Fach vor der Spielzeit zusammen gestellt hat. Der schon als Spieler von Selbstkritik freie Traineranfänger hatte mit Christian Ziege einen abgehalfterten, verletztungsanfälligen Ex-Nationalspieler zur Leitfigur erkoren. Auch kritische Einwände gegen die Verpflichtung des labilen tschechischen Offensivspielers Marek Heinz waren am Ego Fachs abgeprallt. Am Samstag gehörte Ziege wie so oft in dieser Saison zu den schlechtesten Spielern, Heinz saß nur auf der Bank. Will der Verein nicht absteigen, muss die Borussia in der Winterpause wohl neue Spieler kaufen.

MARTIN TEIGELER