Durchmarsch missglückt

Bürgerschaft verweigert Nikolaus das „Alleinvertretungsrecht für weihnachtliches Schenken“ – heute hätte der erste 6. 12. mit neu geordneten Machtverhältnissen im Land Bremen sein können

Bremen taz ■ „Der Petent setzt sich für eine Abschaffung des Weihnachtsmannes zu Gunsten der Herausstellung des Nikolaus ein. Er hält den Weihnachtsmann in Wahrheit für eine Mogelpackung ohne besondere geschichtliche Bedeutung und sieht ihn als kirmesgleiche Attraktion allgegenwärtig in der Vorweihnachtszeit.“

Ein „Petent“ ist jemand, der beim Petitionsausschuss der Bremer Bürgerschaft eine Eingabe macht – und die eingangs zitierte in Sachen Nikolaus hat es in sich. Sie fordert vom Land Bremen nichts weniger als die „Wiedereinsetzung des heiligen Nikolaus in seine traditionellen Rechte und Funktionen“, inklusive des „Alleinvertretungsrechts für weihnachtliches Schenken“. Die Initiative zielt nicht zuletzt auf die Wiedergewinnung des „religiösen Kerns“ der Weihnacht. Auch die Spitzen der evangelischen Kirche in Bremen (BEK) hatten unlängst Desorientierung und „diffuse Gefühligkeit“ während der Adventszeit beklagt.

Könnte die Nikolaus-Petition hier Abhilfe schaffen? Natürlich ist ein Austausch von Köpfen nicht notwendig systemrelevant, trotzdem birgt die beabsichtigte Palastrevolution das Potential für einen mit Spaceparkpleite und Werftenschließungen durchaus vergleichbaren Struktureinbruch: Die Folgen der Entmachtung des Weihnachtsmannes durch den wesentlich maßvoller schenkenden Nikolaus allein für Einzelhandel, Werbegemeinschaft City e. V. sowie die Elektronikindustrie wären fundamental.

Wären – denn der Petitionsausschuss ließ die wohlbegründete Eingabe mit einem schlichten, aber um so wirkungsvolleren Verfahrenstrick scheitern: Sie sei „für erledigt zu erklären, weil sie nicht abhilfefähig“ sei. Man hätte auch formulieren können: Was nicht sein kann, darf nicht sein – eine geradezu anti-legalistische Haltung, zugleich aber ein Sieg der seit Macchiavelli per se als legitim definierten Staatsräson. Immerhin machte sich der Ausschuss, der einen ganzen Stab kulturhistorischer, volkskundlicher und religionswissenschaftlicher ExpertInnen zu beschäftigen scheint, die Mühe, seine Ablehnung ausführlich zu begründen.

Die Recherche der relevanten kirchengeschichtlichen und soziologischen Weihnachtsmann-Fakten geht zurück bis 217 – dem Jahr, dessen 25. Dezember von Papst Hyppolit erstmals zum Geburtstag Christi erklärt wurde. Allerdings dient all das Wühlen in der Historie ganz offenkundig allein dem Zweck, die ökonomisch motivierte Haltung des Ausschusses als Kapitulation vor der Macht des Faktischen zu kaschieren. Denn: Obwohl die „Geschichte des beklagten Weihnachtsmannes hinsichtlich der Erscheinungsform der Figur in der Tat erst 100 Jahre umfasst“ [der leibhaftige Nikolaus hingegen ist schon um 270 als amtierender Bischof des türkischen Myra belegt – Anm. d. Red.], sei das mit ihm verbundene Brauchtum „nicht per Dekret außer Kraft zu setzen und aus dem privaten Leben der Bevölkerung zu entfernen“. Quod erat demonstrandum.

Hintergrund der Bremer Blockade ist neben der intensiven Lobbyarbeit der Handelskammer auch die protestantische Prägung des Landstrichs. Während der Nikolaus in einigen katholischen Gebieten noch immer als Gabenbringer fungiert, begann die hiesige calvinistische Oberschicht bereits im 16. Jahrhundert dem „Christkind“ diese Aufgabe im Rahmen der häuslichen Weihnachtsfeier zuzuordnen. Da das Anrufen des Petitionsausschusses – er bekommt in Bremen pro Jahr etwa 270 Eingaben zu geleitet – als Ultima Ratio zur Wahrung selbst existentieller Interessen gilt, müssen die aus der Nikolausdegradierung resultierenden Zustände nunmehr als zementiert gelten. Mit anderen Worten: Der Weihnachtswahnsinn rollt weiter. Henning Bleyl