Spaß mit Stiefmutter

Im „Heartbreak Hotel“ lässt das Ensemble des Bonner Schauspiels die Sau raus. Das Publikum freut sich

Für die Theaterbesucher kann es ein Glücksfall sein, wenn ein fest geplantes Stück unerwartet wegbricht. Weil am Schauspiel Bonn eine Auftragsarbeit geplatzt ist, stecken die temporär arbeitslosen Theaterleute ihre überschüssige Energie in ad hoc-Produktionen, besetzen an freien Abenden das Bühnenbild eines ganz anderen Stücks („Männerhort“) und lassen die Sau raus.

So ist es jedenfalls bei „Heartbreak Hotel Lovesongs – The Amercian Way“, einer schnellen Nummer, die heute zum zweiten und wahrscheinlich schon zum letzten Mal ins Programm gefahren ist wie ein spontaner Auftritt von Ozzy Osbourne. Das junge Publikum freut sich über den rotzigen Spielwitz der Schauspieler und über den kleinen Eintrittspreis. „Heartbreak Hotel“ ist inzwischen das dritte Stück in der neuen Bonner Experimentiert-Reihe „Reality Bit(e)s“.

Sechs ziemlich schräge Typen torkeln zunehmend whiskeygefüllt zu einem weitgehend den Achtziger Jahren entnommenen Soundtrack über plüschige Möbel. Das ganze Grauen der Glamour- und Yuppie-, der Wave- und Heavy-Metal-Styles liegt auf der kleinen Werkstattbühne offen zutage. Schamlos reizt das sichtlich vom Trash des eigenen Stücks amüsierte Ensemble die düsteren Facetten dieses aufgesetzten Jahrzehnts der Besserwisser bis zum letzten „Gnade!“-Schrei aus.

Wer die Fernsehserie „Ein Colt für alle Fälle“ kennt, weiß, worum es geht. Stellen Sie sich Howie und Jody aus der besagten US-amerikanischen Detektivserie in Gesellschaft der jüngeren Tochter aus der „Adam‘s Family“ vor – dann haben Sie einen ersten Eindruck von der Ästhetik des Theaterstücks.

Meist bewegen die drei Frauen und drei Männer ihre Lippen zu einem Mosaik aus Musik und Filmdialogen. Zu den „Songs of Love and Hate“, die im Programm angekündigt werden, gehört auch das Märchen Schneewittchen. Raphael Rubino als böse Stiefmutter sitzt wie die Spinne Thekla aus der Kinderserie „Biene Maja“ – nein, nicht im Netz, sondern im Rollstuhl.

Trotz oder wegen der Mischung aus wahnsinniger Mordeslust und hintergründiger, fast unsichtbarer Dominanz einer überdimensionierten Spinne wirkt er dabei komisch. Wie diese lustige Stiefmutterspinne im Rollstuhl ist das ganze „Heartbreak Hotel“: Nichts passt zusammen, aber alles ergibt irgendwie einen Sinn.

SEBASTIAN SEDLMAYR

„Heartbreak Hotel Lovesongs – The American Way“, heute Abend, 20 Uhr, Werkstattbühne des Schauspiels Bonn, Eintritt 3/6 Euro