Sag‘ zum Abschied ganz laut: danke

Bürgermeister Henning Scherf, frisch zurück vom Vermittlungsausschuss, plaudert vor 50 RentnerInnen über Gott, die Welt und Pläne für ein Leben nach der Politik: „Den richtigen Zeitpunkt für den Abschied zu finden, ist zur Zeit mein dickstes Problem“

„Fast alle bürgerlich-konservativen Leute empfinden mich als einen Glücksfall“

Bremen taz ■ Henning Scherfs Terminkalender sagt einiges aus über die Besonderheiten des Bundeslands Bremen, aber auch über die Person des Regierungschefs selbst. Erst am Mittwochmorgen um halb vier Uhr war er mit dem Auto von Berlin aus in Bremen angekommen. An der Spree hatte er als Vorsitzender des Vermittlungsausschusses große Politik zu erledigen gehabt. Keine zwölf Stunden später sitzt Scherf in der Bremer Stadtwaage 50 RentnerInnen gegenüber, die fünf Euro Eintritt berappt haben, und soll etwas aus seinem Leben erzählen.

Der Verein „Freizeit 2000“ hatte den Bürgermeister eingeladen, zu dem nicht unbedingt unterkomplexen Thema „Habe ich als Politiker meine Ziele erreicht?“ zu extemporieren. Er wolle zunächst einmal einfach „Danke“ sagen, begrüßt der Vereinsvorsitzende Lothar Pohlmann den hohen Gast, „denn Sie betreiben eine ganz menschliche Politik“. Der so Geschmeichelte fängt an, über sein Leben zu erzählen. Über die Kindheit in der Neustadt, Bomben im Krieg, die Bekennende Kirche. Weil er am Reformationstag geboren sei, befand sein Vater, dass Henning Pastor werden sollte. „Ganz mühselig“ habe er „da rausfinden“ müssen. Scherf berichtet über das Studium, die SPD, seine Frau und die „Wohngemeinschaft“ in der Rembertistraße. Dort wohne er unter anderem mit einem „muslimischen Araber“ zusammen, „der mir so vertraut ist wie nur wenige Leute in der SPD“.

Heute „empfinden mich fast alle bürgerlich-konservativen Leute als einen Glücksfall“, sagt Scherf mit pastoralem Schmelz in der Stimme: Ganz wichtig sei ihm, „dass man Menschen nicht von Anfang an mit einem Stempel auf den Kopf versieht“, dass man sich „nicht einbunkert“, sondern bereit sei, voneinander zu lernen. Er sei stets neugierig gewesen auf andere Kulturen und Religionen. Von den Grünen spricht er nicht.

In Bremen, sagt Scherf, wolle er alt werden und auch sterben. Gerne wolle er als Pensionär Kammermusik machen, Orgel spielen, Portraits zeichnen, an der IUB studieren und Bücher schreiben. Scherf denkt dabei an eine „Bremer Sozialgeschichte des 20. Jahrhunderts von unten“, will über Menschen schreiben, „die sich am Rande des Gesellschaft durchgeboxt haben“. Dafür habe er bereits „600 Personalakten“ über eine „Riesenfamilie“ aus Hashude gesammelt, mit der er befreundet sei.

Je länger er derlei Vorhaben aufschiebe, desto schwieriger werde es mit der Umsetzung, sagt Scherf. „Dazu muss man plietsch sein.“ Also werde er irgendwann während der laufenden Legislaturperiode „den richtigen Zeitpunkt finden und sagen: Das war‘s.“ Er kenne genügend mittelständische Unternehmen, bei denen der alte Chef nicht aufhören könne. Im Augenblick sei es sein „dickstes Problem zu schauen, wie ich den Abschied hinkriege, ohne dass es wie eine Flucht wirkt“. Ob er nicht doch Bundespräsident werden wolle, fragt zum Abschied eine Dame mit verzücktem Augenaufschlag. „Jajajaja“, antwortet Scherf, jetzt wieder ganz der Politprofi, „das geht ganz locker und ohne Mühe an mir vorbei.“ Frau Merkel wolle in diesem Amt „doch unbedingt den Stoiber haben“. Markus Jox