herr tietz macht einen weiten einwurf
: Höher, schneller, weiter, nackter!

FRITZ TIETZ über die belgische Tennis-Spielerin Kim Clijsters und den dreigestreiften Kleiderzwang bei Olympia

Fritz Tietz ist 44 Jahre alt, lebt als Nachfahre ostpreußischer Einwanderer in der Nordheide und treibt gelegentlich Sport.

„Dabei sein ist alles“, lautet die hehrste und zugleich verlogenste aller olympischen Devisen. Abgesehen von ein paar abgebrühten Olympia-Funktionären und einigen phrasenden Reportern wird diese Mär aber heutzutage kaum noch ernsthaft vertreten. Gerade in den aktuellen, vom Effizienzgetöse beherrschten Zeiten lässt sich einfach nicht mehr überzeugend hinbiegen, dass bereits die Teilnahme an einem olympischen Wettkampf Ehrung genug sei.

Auch Belgiens Tennis-Ass Kim Clijsters konnte in dem Ideal der bloßen Anwesenheit keinen hinreichenden Anreiz für ihre Mitwirkung bei Olympia erkennen. Die momentane Weltranglistenzweite wollte in Athen nur aufschlagen, wenn sie dort auch die Klamotten ihres Ausrüsters Fila würde tragen dürfen. Daraufhin hatte ihr Belgiens Olympisches Komitee zugestanden, das olympische Tennisturnier im Dress ihres Sponsors bestreiten zu können. Allein im Fall eines Medaillengewinns sollte sie das Siegerpodest, bitte schön, in einem Trainingsanzug des offiziellen belgischen Beschickers Adidas besteigen. Da aber Frau Clijsters partout keine drei Streifen an ihrem Leib dulden wollte, entschied sie sich, Olympia sausen zu lassen – übrigens sehr zum Ärger vieler Belgier, die sich so um die durchaus berechtigte Hoffnung auf mindestens eine der ansonsten eher rar prognostizierten belgischen Medaillen gebracht sehen. Da kann man mal sehen: Nicht mal mehr die Bürger drittklassiger Sportnationen geben sich nur mit einem olympischen Dabeisein zufrieden.

Kim Clijsters’ Landsmann IOC-Präsident Jacques Rogge zeigte sich ebenfalls reichlich angefressen vom Boykott der Tennisspielerin. Das Tragen von Adidas-Kleidung sei nun mal ein Zeichen der Solidarität, machte er in dieser textilen Angelegenheit ebenso schwer wie verquer einen auf ethisch. Doch ausgerechnet den Vorwurf mangelnder Solidarität konnte nun wiederum Frau Clijsters nicht auf sich sitzen lassen. Adidas-Konkurrent Fila habe sie schließlich schon unterstützt, als sonst niemand etwas von ihr wissen wollte. Deshalb sei es jetzt an ihr, sich der Firma gegenüber soldarisch zu zeigen. Somit steht Solidarität gegen Solidarität.

Dass Rogge als Konsequenz aus dem leidigen Kleiderzwist erwägt, mit dem Nacktzwang für alle Olympiateilnehmer die unkomplizierte Kleiderordnung der alten Griechen wieder einzuführen, ist allerdings nur ein Gerücht, das aber bestimmt nicht von der Sportbekleidungsindustrie in die Welt gesetzt wurde. Dabei böte doch die Ausrichtung der Spiele im historisch vorbelasteten Griechenland die beste Gelegenheit, auch den Dresscode nach den ganz alten olympischen Vorschriften neu zu regeln. Höher, schneller, weiter, nackter!

Ganz andere Kleidersorgen haben dagegen Afghanistans Olympioniken, die nach längerer Abstinenz erstmals in Athen wieder aktiv mit dabei sein werden. Groß noch ist allerdings nach all den Wirren, die ihr Land durchlitt, der Mangel an wettkampftauglichem Turnzeug. Wohl um zu vermeiden, dass die Athleten vom Hindukusch in Kaftan, Pluderhose und Fußlappen in die griechischen Wettkampfstätten einfallen, ließ jetzt das Athener Organisationskomitee einen Schwung Trainingshosen, T-Shirts, Schuhe und Socken über dem afghanischen Olympiastützpunkt abwerfen. Warum aber hat sich bisher kein namhafter Sportartikler gefunden, die afghanische Olympiamannschaft mit möglicherweise sogar landessittenkonformen Pluderturnhosen und – schließlich gehören auch Frauen mit zum afghanischen Team – Sportkopftüchern auszurüsten? Der Werbeeffekt wäre sicher enorm. Garantiert nämlich wird den afghanischen Exoten in Athen allergrößte Aufmerksamkeit zuteil, und die Chancen stehen nicht schlecht, dass es, so wie es beispielsweise an Eddie the Eagle, Eric the Eal oder den jamaikanischen Bobfahrern vollzogen wurde, dieses Mal die lustigen Sportkameraden vom Hindukusch sind, die von den Medien als die letzten Mohikaner des olympischen „Dabei sein ist alles“ gefeiert und der schmunzelnden Öffentlichkeit als die „Teilnehmen-ist-wichtiger-als-Siegen“-Deppen vorgeführt werden.