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: Die Tricks der alten Eliten

Das Oberste Gericht der Ukraine hat seinen ersten Reifetest in Sachen Rechtsstaatlichkeit und Demokratie bestanden: Die Stichwahl wurde annulliert und neu angesetzt. Ist das nun ein Sieg für das ukrainische Volk, wie US-Außenminister Colin Powell meint? Noch lange nicht. Das, was hunderttausende in den vergangenen Wochen auf den Straßen erstritten haben, droht durch ein zynisches Machtpoker der politischen Elite wieder zunichte gemacht zu werden.

KOMMENTAR VON BARBARA OERTEL

Wie anders soll man den Streit im Parlament bezeichnen, das sich am Wochenende nicht auf eine Änderung des Wahlgesetzes einigen konnte. Diese Reform wäre aber die Voraussetzung dafür, dass internationale Wahlbeobachter nicht die gleichen Fälschungen miterleben wie am 21. November, als manche Wähler ihre Stimme bis zu vierzigmal abgeben konnten.

Dass das Regierungslager just in diesem Moment auch noch eine Änderung der Verfassung durchsetzen will, hat mit den Wahlen unmittelbar nichts zu tun. Die Verfassungsreform soll einzig und allein dem Machterhalt der alten Eliten dienen. Die Regierung will das Amt des Präsidenten künftig auf weitgehend formale Kompetenzen zurückstutzen. Ein Präsident Wiktor Juschtschenko könnte bis zu den nächsten Parlamentswahlen 2006 wenig ausrichten gegen ein Parlament, in dem die Oligarchen über ihre Phantomparteien den Ton angeben und Abstimmungen in ihrem Sinne steuern.

Doch das Taktieren Kutschmas und seiner Verbündeten, die in der Vergangenheit bei Gesetzesbrüchen wenig zimperlich waren, ist noch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Wieder einmal wird deutlich, dass selbst eine Verfassung nur ein wertloses Stück Papier sein kann. Sie wird umgeschrieben, wenn die politischen Notwendigkeiten es erfordern.

Geradezu grotesk und für die Lernfähigkeit ukrainischer Politiker bezeichnend ist es jedoch, dass sich jetzt auch Teile der Opposition an diesem unsäglichen Spiel beteiligen – allen voran Olexander Moroz. Mit seinem Beharren auf einer Verfassungsänderung zeigt der Sozialistenchef erneut, dass für ihn Recht und Gesetz allenfalls zweitrangig sind, wenn es um seine politischen Interessen geht.

Angesichts dieser Arroganz der Mächtigen kann es für die Menschen auf der Straße nur um eins gehen: weitermachen und keinen Millimeter zurückweichen. Der Machtkampf in der Ukraine ist noch längst nicht entschieden.