„Rassismus brauche ich mir nicht vorwerfen lassen“

Kölns SPD-Chef Jochen Ott verwahrt sich im Gespräch mit der taz gegen den Vorwurf, wegen seiner Kritik an der „Multikultitrallala-Politik von Rot-Grün“ Vorurteile zu schüren. Ihm gehe es um ein friedliches Zusammenleben von Immigranten und Deutschen – nach Spielregeln, die für alle gelten

Es geht darum, die vorhandenen und verbindlichen Spielregeln durchzusetzen

Interview Sebastian Sedlmayr

taz: Herr Ott, was haben Sie gegen Multikulti?

Jochen Ott: Ich habe gar nichts gegen Multikulti, nur gegen eine „Multikulti-Ideologie“, wie Alice Schwarzer die linke Ausländerpolitik der Vergangenheit bezeichnet. Es geht darum, dass es zwischen den Kulturen zum Dialog kommt, das Zusammenleben zwischen den Kulturen gelingt. Deshalb halte ich den Begriff Interkulturalität für treffender.

Wenn Sie schon so genau mit den Begriffen sind: Warum sprechen Sie dann von „islamischen Parallelgesellschaften“?

Es bezweifelt doch heute ernstlich keiner, auch nicht die Mehrheit der Linken, dass es an bestimmten Stellen in den Städten zu Parallelgesellschaften gekommen ist. Der Bürgermeister von Berlin-Neukölln beschrieb jüngst die Lage in seinem Bezirk.

Der Begriff suggeriert, dass es eine organisierte, aber fremde Gesellschaft im Innern gibt. Handelt es sich bei dem Phänomen, das Sie beschreiben, nicht um individuelle Lebenszusammenhänge und Milieus?

In bestimmten Stadtteilen kann man alles, was man zum Leben braucht, in der eigenen Gruppe erledigen. Es gibt Geschäfte, es gibt Ärzte. Man muss mit der deutschen Gesellschaft gar nicht in Kontakt treten.

Sind diese Gruppen nicht auch Teil der Gesellschaft?

Sicherlich sind sie das, und deshalb haben wir ja Spielregeln in der deutschen Gesellschaft, die für alle gelten, auch wenn man für sich bleiben will. Wir müssen aber ein Interesse daran haben, dass in einer Stadt wie Köln mit 20 Prozent Migrantenanteil, der weiter steigt, das friedliche Zusammenleben befördert wird. Dazu muss man auch in Kontakt miteinander treten. Beide Seiten müssen aufeinander zugehen.

Wenn, wie Sie sagen, die „Multikultitrallala-Politik von Rot-Grün“ das Problem ist, was wollen Sie denn jetzt in Köln anders machen?

Es gibt schon viele erfolgreiche Projekte, zum Beispiel die Arbeit der interkulturellen Zentren. Das muss man fortsetzen und stärken. Schwarz-Grün in Köln hat gerade hier Mittel gekürzt. Es gibt Runde Tische, Gesprächsrunden, gemeinsame Projekte. Man muss solche Gelegenheiten schaffen, bei denen die Leute aufeinander zukommen können. Mit meiner Kritik wollte ich ansprechen, dass wir als Gesellschaft bereit sein müssen, auch gemeinsam um den besten Weg der Integrationspolitik zu streiten. Natürlich versuchen sich die Rechtsradikalen in solche Debatten sofort reinzuhängen und mit ihren platten, billigen Antworten Stimmung zu machen.

Sie sagen, Integrationspolitik sei für Sie in erster Linie eine Frage der Chancengleichheit. Warum halten Sie da die soziale und die Integrationsthematik nicht scharf auseinander?

Lassen Sie mich mit einem Beispiel sagen, warum sich manchmal Themen vermischen. Beim Tag der Jugend im Kölner Rathaus am letzten Donnerstag zeigte sich, dass für alle Jugendlichen Sicherheit ein ganz großes Thema ist. Unabhängig von Schulform und Herkunft haben sie den Antrag gestellt, die Sicherheit in Jugendzentren zu erhöhen. Gewaltfreiheit ist für die Jugendlichen also ein zentraler Wert und erst recht keine Frage der Ethnie. Alle Jugendlichen haben Angst, verprügelt zu werden. Es geht ihnen deshalb um die Einhaltung der Spielregeln, um „Recht und Ordnung“ und um Gerechtigkeit. Gefährlich wird es nun, wenn Leute versuchen, solche Fragen auf die Nationalität der Gewalttäter zurückführen.

Warum betonen Sie dann, dass man „als Türke machen kann, was man will“?

Das betone ich nicht. Ich habe gesagt, dass subjektiv bei manchen Bürgern der Eindruck entsteht. Mir geht es ja gerade darum, Nachbarschaftsprobleme von der Herkunft der Nachbarn zu trennen.

Im Interview mit den „Frankfurter Heften“ haben Sie auch gesagt, man hätte den Begriff der „Neuen Mitte“ nach 1998 weiter verwenden sollen. Nach jüngsten Umfragen glauben 70 Prozent der Deutschen, der Islam passe nicht zum Westen. Ist das die Neue Mitte, die Sie ansprechen wollen?

Erstens habe ich gesagt, dass die SPD spätestens nach 1998 eine intensive Programmdebatte hätte führen müssen; erst jetzt nach dem Schock der Agenda wird die inhaltliche Debatte in der Partei nachgeholt, anders herum wäre das besser gewesen. Zweitens zu Ihrer Frage: Das ist die Folge eines mangelhaften und nicht offenen Diskurses über Integrationspolitik und inhaltlich Unsinn. Wichtig ist, dass man den liberalen Islam stärkt. Im Christentum gibt es ja auch fundamentalistische Strömungen. Zu sagen, der Islam passe nicht zum Westen, ist genauso fehl am Platz wie von „den Muslimen“ zu sprechen. Das Grundgesetz steht über der Religion. Das muss von allen gemeinsam durchgesetzt werden.

Glauben Sie, dass die Integration mit der CDU an Ihrer Seite im Falle einer Großen Ratskoalition in Köln gelingen kann?

Ich bin davon überzeugt, dass alle in dieser Stadt am Ende erkennen, dass das ein Schwerpunktthema sein muss...

... und dass die CDU nicht im Sinne ihrer deutschen Leitkultur, sondern im Sinne der Chancengleichheit argumentiert?

Leitkultur ist ein Widerspruch im Wort. Ich bin für eine Regelkultur. Es geht darum, die vorhandenen und verbindlichen Spielregeln durchzusetzen. Um das zu erreichen, muss man sich gleichberechtigt dort verständigen, wo es Interpretationsmöglichkeiten gibt. Das ist das Ziel. Wir müssen aufpassen, dass die Diskussion nicht von denen bestimmt wird, die Öl ins Feuer gießen.

Genau das wird Ihnen ja vorgeworfen: dass Sie Öl ins Feuer gießen. Befürchten Sie, dass Ihr Start in den Integrationsrat mit einem Schatten behaftet ist?

Nein, ganz im Gegenteil. Ich habe von Anfang an für Integration gekämpft und werde weiter für die Integration eintreten. Und mit Frau Schwarzer bin ich da in guter Gesellschaft. Ich freue mich auf die gemeinsamen Gespräche im Integrationsrat. Rassismus brauche ich mir von niemandem vorwerfen lassen.