Nie mehr Meister der Herzen werden

Nach dem allseits als logisch betrachteten 1:0-Sieg im Derby bei Borussia Dortmund bläst Schalke 04 vor dem letzten Hinrundenspieltag zum Angriff auf Tabellenführer Bayern München, der ihnen bloß noch ein paar Tore voraushat

DORTMUND taz ■ Zwei Monate ist es jetzt her, dass Gonçalves da Silva Ailton zum letzten Mal in seiner Heimat war. Auf Kur sozusagen. Denn damals lief es nicht gut für den gedrungenen Stürmer. Er schoss keine Tore für Schalke, gesperrt war er zudem, also schickte ihn Ralf Rangnick in einer seiner ersten Amtshandlungen nach Hause. Zum Ausspannen und Pferdchenstreicheln auf seiner Ranch in Brasilien. Ab nächster Woche wird Ailton wieder zwischen den Koppeln herumstreifen dürfen – dann aber als offensichtlich kurierter Mann. Beim 1:0-Derbysieg in Dortmund hat der 31-Jährige am Sonntag das einzige Tor geschossen, und Rangnick betonte danach: „Es ist ein anderer Toni als vor zwei Monaten. Man merkt, dass er auf Schalke angekommen ist.“

Und weil das wohl so ist, beschäftigt sich der Torschützenkönig der Vorsaison in diesen Dezembertagen nicht mehr nur mit sich selbst, sondern manchmal auch mit seinem Verein. „Wenn ich nächste Woche nach Brasilien in Urlaub fliege“, brabbelte Ailton beim Gang aus dem Westfalenstadion zum Beispiel daher, „Schalke muss sein Erster.“ Im Moment ist Schalke noch Zweiter, aber nur wegen des schlechteren Torverhältnisses gegenüber Bayern München. Die spielen am Samstag gegen den VfB Stuttgart, Schalke gegen Freiburg. Eine Konstellation, die den Schalkern den Titel Herbstmeister einbringen könnte.

Mit solch nutzlosen Auszeichnungen kennen sie sich in Gelsenkirchen allerdings aus. Ebbe Sand etwa dachte mal wieder an 2001. „Eines wollen wir auf keinen Fall: Meister der Herzen bleiben“, sagte er und erklärte: „Ob wir Herbstmeister werden oder nicht, spielt keine Rolle.“ Frank Rost betrachtet die Lage ganz ähnlich. „Wir können uns dann vielleicht einen Zeitungsartikel mit uns als Herbstmeister ausschneiden und in einen Rahmen hängen“, schlägt der Keeper lustlos vor. Aber das sei etwas für die Statistik. Der FC Schalke 04 will aber keine gerahmte Statistik, sondern: „Wir brauchen etwas zum Anfassen.“ Eine Meisterschale zum Beispiel.

Der Sieg in Dortmund fühlte sich immerhin schon einmal ganz gut an. Allerdings dürfte auch dem verblendetsten BVB-Anhänger nicht entgangen sein, dass der Schalker Sieg eine rechte Selbstverständlichkeit war – und von allen Beteiligten schließlich auch als solche behandelt wurde. „Die Tabellensituation hat sich heute auf dem Platz gezeigt“, stellte beispielsweise Dortmunds Sebastian Kehl die aktuell sehr klare Verteilung der Kräfte im Ruhrgebiet heraus. Sein Trainer tat es ihm gleich. „Schalke war sehr selbstbewusst, aber ich denke, das ist normal. Wir waren verunsichert, aber ich denke, das ist auch normal“, fasste Bert van Marwijk zusammen.

Am emotionalsten kommentierte noch der ansonsten weitgehend emotionsfreie Michael Meier die Erlebnisse vom Sonntag. „Wenn du im eigenen Stadion die Schalker Siegesgesänge hörst, tut das weh“, gestand der BVB-Manager wenig überraschend. Immerhin glauben sie in Dortmund jetzt, dass sie mit ihrem Kampfeswillen der zweiten Halbzeit gegen Schalke irgendwann aus dem Tabellenkeller herauskriechen werden. „Wir kommen da raus“, behauptet van Marwijk. Wenn bei der Borussia jedoch weiterhin Spielaufbau und damit letztlich auch das Toreschießen dem Zufall überlassen bleibt, sollte man darauf nicht wetten.

Alles andere als Zufall ist dagegen das Schalker Treiben auf dem Fußballfeld. Vorne gewinnen die wieselflinken Stürmer Ailton und Sand in der Regel ihre Laufduelle und Zweikämpfe, sie werden gefüttert von technisch brillanten Mittelfeldspielern wie Lincoln oder Kobiaschwili und hinten vor allem Marcelo Bordon mit einer Mischung aus Eleganz und Brachialgewalt seinen Arbeitsbereich blitzeblank. „Ich habe wenig auszusetzen“, sagte Ralf Rangnick, denn: „Wir haben schon viel von dem umgesetzt, was wir uns vorgenommen haben.“ Und das galt vor allem für Gonçalves da Silva Ailton. Schließlich hatte er den unter anderem dabei ertappt, „dass er Bällen hinterher gejagt ist“. Und so etwas hat der Pferdefreund vor zwei Monaten wirklich noch nicht gemacht.

ANDREAS MORBACH