Die Machenschaften der Amigos

Nach dem Tod eines Fußballfans vor zwei Wochen muss Besiktas Istanbul drei Heimspiele vor leeren Rängen bestreiten und im türkischen Fußball ist eine Diskussion über die Sicherheit in den Stadien entbrannt, die eigentlich längst fällig war

AUS ISTANBUL TOBIAS SCHÄCHTER

Mancher in der türkischen Presse ist sich nie zu schade für einen schlechten Witz. Istanbulspor sei der Favorit, schrieben einige Kommentatoren mit ironischem Unterton. Schließlich seien die „Bullen“ es ja gewohnt, vor leeren Rängen zu spielen. Nur knapp 2.000 Zuschauer wollen deren Heimspiele im Schnitt sehen. Am Sonntagabend war außer knapp 100 Journalisten, ein paar Ordnern, Polizisten und natürlich den hoch offiziellen Würdenträgern der beiden Klubs aus Istanbul niemand im Inönü-Stadion, um Besiktas und Istanbulspor in der türkischen SüperLig dilettieren zu sehen. Es war das erste von drei Heimspielen, das Besiktas ohne Zuschauer absolvieren muss.

Vor zwei Wochen ist Cemal Aktas ermordet worden. Der 16 Jahre alte Junge wurde während des Spiels gegen Cay Rizespor im Inönü erstochen. Die auf tönernen Füßen errichtete Fassade namens „Sicherheit in Fußballstadien“ war eingestürzt. „Das ist die Türkei – erst muss jemand sterben, damit wir handeln“, titelte eine Zeitung. Gewalt ist jedes Wochenende rund um den türkischen Fußball zu beobachten. Auch Diyarbakirspor muss wegen häufiger Ausschreitungen nun ein Spiel ohne Zuschauer austragen. Istanbulspor wechselte die Arena, weil es die Sicherheit in seinem kleinen Stadion nicht mehr gewährleisten konnte. Dabei war der Mord im Inönü nicht der erste. Erst in der letzten Saison wurde ein Fan in Izmir während eines Zweitligaspiels erstochen. Damals gab es einen lauten Aufschrei. Gehandelt wurde nicht. Der Preis ist der Tod von Cemal Aktas.

Die Bestandsaufnahme ist niederschmetternd. Bei den Untersuchungen direkt nach dem Spiel fand die Polizei sieben Messer. Verhaftet wurde ein 24 Jahre alter Mann, der die Tat angeblich gestanden hat und sein Messer im Schuh versteckt durch die laxen Kontrollen gebracht haben soll. Aus einem ersten Kommentar des Besiktas-Managers Kivanc Octay sprach blanker Zynismus. Besiktas habe alles für die Sicherheit getan, behauptete Octay. Auch verneinte er, dass der vermutliche Täter mit einer Freikarte ins Stadion kam, eine übliche Praxis.

Die Klubs verteilen Freikarten an die so genannten Amigos, die Einpeitscher in den Kurven. Diese geben die Karten weiter, ohne dass die Klubs wissen, an wen. Oft an zugedrogte und betrunkene Jugendliche, die mit Fußball nichts am Hut haben. Wie selbstverständlich die „Amigos“ ihre seltsamen Privilegien nehmen, zeigt eine Episode aus Trabzon. Dort weigerte sich Präsident Atay Aktug jüngst, die Busfahrt eines Fanklubs zum Spiel nach Denizli zu bezahlen. Er wurde tätlich angegriffen. Ein Vorfall, der seltsam gelassen kommentiert wurde.

Die Geister, die die Klubs selbst riefen, werden nur schwer wieder zu vertreiben sein. Zu eng scheinen die Bande zu den „Amigos“. Es wird interessant sein zu beobachten, ob hinter dem von Verband und Klubs diese Woche ratifizierten Maßnahmenkatalog auch tatsächlich ein ehrlicher Wille steckt. Das Austeilen von Freikarten ist nunmehr ebenso verboten wie das von Gruppenkontingenten an Einzelpersonen. Außerdem sollen diejenigen Klubs künftig hart bestraft werden, die den Fans Auswärtsfahrten bezahlen. Dies verkündete Levant Bicakci, der Präsident des türkischen Fußballverbandes. Aber auch das lief nicht ohne Peinlichkeit ab. „Amigos“ der Nationalmannschaft erklärten, auch der Verband habe bei den Länderspielen gegen Kasachstan und die Ukraine Freikarten verteilt.

Zu der aufgeheizten Stimmung in den Stadien tragen aber auch immer wieder verbale Entgleisungen zwischen den verfeindeten Präsidiumsmitgliedern bei. Übelste Beleidigungen sind an der Tagesordnung. Eine bizarre Idee, die aggressive Grundstimmung zu verbannen, hatte der Klub Genclerbirligi aus Ankara. Er verteilte am Samstag für das Spiel gegen Galatasaray Freikarten an Frauen. Nur sind kaum welche gekommen. Die Zuschauerzahlen gingen seit dem Mord im Inönü zurück. Die Menschen haben Angst, zum Fußball zu gehen. Deswegen will der Staat nun eigens eine „Stadion-Polizei“ schaffen. Eine Sicherheitstruppe, die speziell für die Prävention von Gewalt im Stadion ausgebildet werden soll.

Maßnahmen, die im schweizerischen Nyon, der Zentrale des europäischen Fußballverbands Uefa, begrüßt werden. Schließlich ist Istanbul Austragungsort des Champions-League-Finales im Mai. Der Gastgeber des Finales der europäischen Königsklasse gibt zurzeit ein desaströses Bild ab, ein Cocktail von Korruption und Gewalt, den große Teile der Medien nicht nur mit ihrer martialischen Aufarbeitung des Inönü-Mordes scharf würzen. Die Auswärtspartie vor leeren Rängen im Inönü hat Istanbulspor am Sonntag übrigens mit 1:2 verloren.