Wie Musik aussieht

TONSPUR Gregor Hildebrandt hat das Tape als Material der bildenden Kunst entdeckt und schafft dem Hören visuelle Erinnerungen. Er stellt in der Galerie Wentrup und demnächst in der Berlinischen Galerie aus

So entstehen dem effektvollen Spiel von Licht und Luftbewegung überlassene „Vorhänge“ aus Tape, an deren spiegelnden Oberflächen die Decodierungsversuche abperlen

VON SASCHA JOSUWEIT

Seit unglaublichen zwölf Jahren arbeitet der 1974 in Bad Homburg geborene, in Berlin lebende Künstler Gregor Hildebrandt mit Kassettentonbändern. Er klebt sie auf Leinwände und Inkjet-Drucke, rollt sie zu Schallplattenimitationen, hängt sie in Bäume, installiert sie als flirrende Raumteiler und bespannt ganze Hausfassaden damit. Auch wer nie ein Mixtape erstellt oder geschenkt bekommen hat, kann sich an den Arbeiten freuen: Sie glänzen so schön und taugen sogar als Bodenbelag.

2005 zeigte die Galerie Jan Wentrup ihn das erste Mal in einer Einzelausstellung. Unter dem Titel „Daß dieser Mai nie ende“, geliehen von einem Lied von Konstantin Wecker, stellt sie jetzt in diesem Jahr entstandene Werke vor. Ab 7. Juni widmet ihm auch die Berlinische Galerie eine Einzelausstellung.

Am Ende einer durchzechten Nacht fing der Künstler Feuer. Eine in seinem Rücken aufgestellte Kerze versengt ihm das Haar. Die Videoaufzeichnung, die eigentlich ein 12-Stunden-Gelage am Kunststudentenstammtisch dokumentieren sollte, erhielt den Titel „Mein einer Arm liegt immer im Feuer“, ein Zitat aus Benns pessimistischen Gedicht „Hier ist kein Trost“.

1997 klebte Gregor Hildebrandt Kleidermotten auf Bleiweiß. „Wie die Motten ans Licht“ verriet die Faszination für die tragische Verbindung von Liebe und Tod und für Marlene Dietrich. Zu der Zeit begann die Suche nach einer Möglichkeit, Musik als einer für den Lebens- und Schaffensprozess schon immer wichtigen Erfahrung dem gewohnten Ausdruck in Bild und Text hinzuzufügen. Wie in den frühen Bildern mit Bierglasdeckeln wurde das Material schließlich selbst auf die Leinwand gebracht. Gregors Bilder konnten nunmehr nicht nur gesehen und gelesen, sondern, als imaginativer Vorgang beim Anblick des aus der Kassettenhülle befreiten und zugeschnittenen Tonbands, gewissermaßen auch gehört werden.

Es folgte die Werkgruppe „Tönende Jugend“, bei der die Lyrics oder mit dem Song assoziierte Bildelemente, wie die schwarzen Tränen in einer Arbeit zu Nick Caves „Weeping Song“, mit Ölfarbe auf das Bandmaterial aufgetragen werden. Das dicht an dicht zu einer hochglänzenden Fläche zusammengeklebte Tape war zum Arbeitsgrund geworden, ohne seine eigentliche Funktion als Tonträger eingebüßt zu haben.

2000 dann ein weiterer Schritt. Eine Fotografie der Arbeit „The Figurehead“ konfrontiert Melodie, Text und Titel des gleichnamigen Cure-Songs mit einer in den Bildraum tretenden realen Frauengestalt in Bluejeans und Blümchen-Top. Eine popikonografische Erweiterung der eben erst ins Bild genommenen musikalischen Erfahrung, die sich in den Frauenporträts von der Dietrich bis zu Romy Schneider und Penélope Cruz fortsetzt. Wie ein Trauerflor spannt sich das Tonband über die Papierabzüge von Fotos und Filmstills und ziert sie als Arabeske.

Parallel zu den im popkulturellen Bezugssystem gut ausinterpretierbaren Arbeiten vertraut der Künstler immer wieder auch auf die bloße Materialität seines Werkstoffes. So entstehen Tapeten- und Fliesenmustern nachempfundene Arrangements und dem effektvollen Spiel von Licht und Luftbewegung überlassene „Vorhänge“ aus Tape, an deren spiegelnden Oberflächen die Decodierungsversuche abperlen. Hier wie dort bildet Formstrenge in der Durchführung die Basis des Spielerischen, der Variation. Die Überraschung beim Betrachter ist entsprechend formaler Art und tritt oft erst bei genauerem Hinsehen ein.

Den bequemen Vergleich mit den Konzeptkünstlern der 60er-Jahre unterläuft Hildebrandt neuerdings mit expressiver Geste. Unter Einsatz von Fußtritten, Faustschlägen und Bodychecks wird die in einem komplizierten Verfahren präparierte Tonbandoberfläche auf den Malgrund hin aufgebrochen. Einige der Bilder erinnern, wie man bei Wentrup sehen kann, an Pollocks Drip-Paintings.

Konstruktivismus, Concept Art, abstrakter Expressionismus – es scheint, als wolle sich der Künstler weder auf das Schwarz seines Materials als minimalistisches Konzept noch auf das diskursive Potenzial seiner Collagen festlegen lassen. Bei aller Seriellität und obgleich das arbeitsintensive Aufbringen der Tonbänder inzwischen ein halbes Dutzend Mitarbeiter beschäftigt, betont er im Gespräch über Marktaffinität die Einzigartigkeit einer jeden Arbeit. Sein Ateliernachbar Axel Geis kontert Parallelisierungen von Kunst und Konsum schon mal mit dem Einwand, seine Malerei sei jedenfalls kein Mercedes, eher ein Toyota. Dagegen trägt das künstlerische Selbstverständnis Gregor Hildebrandts klar romantische Züge. Arbeit mit Bändern ist nicht gleich Bandarbeit.

■ Wentrup, Tempelhofer Ufer 22, bis 13. Juni ■ Berlinische Galerie, 7. Juni bis 31. August