Eine untergehende Erlebniswelt

Natalie Tenbergs Gastro- und Gesellschaftskritik: Das KaDeWe in Berlin löst Versprechen ein

Erst in der sechsten Etage entfaltet das Kaufhaus des Westens seinen Charme

Wenn man den Stimmen im Radio trauen durfte, waren die alteingesessenen Einwohner unserer Stadt letztlich von kalter Panik ergriffen. Ein identitätsstiftendes Stück Berlin sah so manch einer in Gefahr: Das Kaufhaus des Westens, kurz KaDeWe genannt, gilt der Betreibergesellschaft nicht mehr als Kerngeschäft und könnte nun sogar einfach verkauft werden. Ein Unding, fanden die Berliner. Aber: Wie kann ein langweiliges Markenmischmasch für so viele Menschen eine wirkliche Erlebniswelt darstellen? Nährt sich das Ganze nur aus der Erinnerung an die Zeit nach dem Mauerfall, wo genau dieses Kaufhaus als Symbol für den Triumph des einen Systems über das andere gesehen wurde? Das Konzept „Warenhaus“ nämlich scheint in der Zeit von Internetshopping, Flagship-Stores und Outlet-Centern nicht wirklich das überzeugendste zu sein.

Auch das KaDeWe ist in weiten Teilen eine langweilige Angelegenheit. Schminke, Porzellan, Klamotten und lauter Dinge, die man anderswo genauso bekommt. Wer schon einmal versucht hat, hier simple weiße Stoffservietten zu kaufen, wird dem KaDeWe vielleicht sogar ganz das Vertrauen absprechen.

Erst in der sechsten Etage entfaltet das Kaufhaus seinen Charme. Durch Lebensmittel. Eine Regalwand mit verschiedenen Senf- und Essigsorten, Kühltheken voller Käse, Pastetchen in der anderen. Dazwischen ein gut besuchter Wurststand mit Eckkneipenflair, eine Bäckerei, und hinter den langen Fischtheken das Restaurant Fischkutter. Hier steht eine handvoll Männer in hohen weißen Kochmützen hinter der Theke am Herd, an ihnen vorbei ziehen Menschen mit Gesundheitslatschen, Rucksack, Stadtplan und offensichtlichem Staunen, etwas, das die Besucher, die im Fischkutter sitzen, tunlich versuchen zu vermeiden. So abgeklärt tut der gegerbte ältere Herr am Nebentisch, dass er gar nicht erst seine Pilotensonnenbrille abnimmt, während er seine Partnerin anschweigt und isst. Dadurch freilich verzichtet er auf die einfache, aber auch wirklich gute Kost im Fischkutter.

Touristen im KaDeWe mag es an die Austerntheke ziehen oder an die Champagnerbars der großen Marken. Wie das dort erlebte Vergnügen im Verhältnis steht zur Vorstellung von diesem Erlebnis, ist unbekannt, sicher aber ist: Vom Fischkutter erwartet man wenig und wird genau deswegen herrlich überrascht. Das scharf angebratene Schwertfischfilet könnte gar nicht besser sein. Wie der leicht panierte und ebenfalls hervorragende Havelzander wird es mit dem hauseigenen Baguette, Salat und zweierlei Soßen serviert. Von der pinkfarbenen kann man – als Einziges – getrost die Finger lassen.

Sollte man von allem anderen in dieser Etage aber nicht genug bekommen können, sollte man keinesfalls ein schlechtes Gewissen bekommen. Die hier erlebte Verführung durch Fressalien nämlich macht tatsächlich die Faszination des KaDeWe aus und löst das gegebene Versprechen auf Erlebnis grandios und gewinnend ein.

■ KAUFHAUS DES WESTENS, Tauentzienstr. 21–24, 10789 Berlin-Schöneberg, Tel. (030) 21 21-0, www.kadewe.de, U Wittenbergplatz, Mo.–Do. 10 – 20 Uhr, Fr. 10–21 Uhr, Sa. 9.30–20 Uhr, Schwertfischfilet mit Salat und Baguette 15,90 Euro, Espresso 2,20 Euro

■ AUSGEHTIPPS

Zuletzt von der taz besprochen:

AUF DER SUCHE NACH DEM VERLORENEN GLÜCK, Nazarethkirchstr. 43. Kirsten Reinhardt: „Nicht eben unprätentiös. Aber das Café ist eine echte Herzensangelegenheit.“

HAMY, Hasenheide 10, vietnamesisches Restaurant. Natalie Tenberg: „Gut und unkompliziert.“