Die grausamen Leiden des Che Güllevara

Als Anwalt des Kleinen Deutschen Mannes rettet Polit-Kabarettist Thomas Freitag einen nicht ganz gelungenen Text mit seiner schauspielerischen Virtuosität. Schuld am Elend des deutschen Wesens ist wie immer der Bundesfinanzminister

Peter Holzer macht Schluss mit lustig. Er lädt dem Finanzminister eine Wagenladung Gülle ins Büro. Jahrelang hat Holzer ordentlich geschuftet, hat sich so verhalten, wie es von einem braven Deutschen erwartet wurde: Im Boom-Jahr 2000 hat er in seinen Friseursalon investiert, hat Mitarbeiter eingestellt und T-Aktien gekauft. Und jetzt bricht ihm ein Steuerbescheid das Ich-AG-Genick. Die Aktion des „Che Güllevara“ hat Folgen: Er steht bald als Angeklagter vor Gericht.

Hier steigt Kabarettist Thomas Freitag als Anwalt des Kleinen Mannes ein. Nicht „Bundesrepublik Deutschland gegen Holzer“ müsste der Prozess überschrieben sein, sondern genau umgekehrt. Schließlich habe der Staat den Selbstständigen angegriffen. „Geld oder Gülle“ heißt das neue Solo-Programm, in dem Freitag sich als Profi der Polit-Posse zeigt, der die deutsche Seele inspiziert. Darin liegt auch der erste und einzige große Fehler in diesem vom Kölner Autor Dietmar Jacobs verfassten und von Horst-Gottfried Wagner inszenierten Kabarett-Stück verborgen. Heute noch über deutsche Befindlichkeiten zu diskutieren als handele es sich bei den Einwohnern der Deutschland AG um eine homogene Volksgemeinschaft, ist dermaßen hinter der Zeit, dass der Gegenstand den künstlerischen Leistungen Thomas Freitags eigentlich nicht würdig ist.

Da ist es konsequent, dass Willy Brandt und Franz-Josef Strauss aus der Gruft steigen müssen, um ihren Polit-Söhnen Schröder und Stoiber Standpauken zu halten. Freitags Parodisten-Nummer ist unglaublich virtuos und komisch. Trotzdem bleibt die Frage: Ist die aktuelle Politik wirklich so langweilig und inhaltsleer geworden? Roland Koch als „deutsche Antwort auf George W. Bush“ und Angela Merkel als Dummchen sollen die Lücke stopfen.

Doch abgesehen von solchen Kleinigkeiten: Der Schauspieler Freitag dreht während der mehr als zwei Stunden Programm langsam, aber kontinuierlich den Saft auf. Zur Einstimmung macht er sich in der Kölner Comedia Freunde mit Hüftschüssen gegen Bayern, Ostfriesen und Berliner. Dass die Stimmung in Deutschland miserabel ist, führt er auf den Umzug des Parlaments zurück: „Als die Regierung noch im Rheinland war, war die Stimmung nie schlecht!“ Jetzt aber, nach sechs Jahren sinkender Stimmungskurve, macht Freitag den „Grundton von Deutschland“ aus – ein penetrantes Jammern.

Manche wandern aus, nach Mallorca zum Beispiel, um diesem Geräusch zu entgehen. Doch da sehnen sie sich beim Meeresrauschen bald nach der A2 bei Oer-Erkenschwick. Beim einzigen Spanier im „Pueblo Pesado“ („schweres Dorf“) haben sie bald Hausverbot. Endgültig an sich selbst gescheitert sind die deutschen Möchtegern-Lebemänner, wenn die spanischen Behörden ihren Antrag auf eine Lärmschutzwand ablehnen.

Also wieder zurück nach traurig Deutschland, vielleicht eine Ich-AG gründen? Wie Freitag als multiple Unternehmerpersönlichkeit, die sich selbst den Kaffee kocht und morgens anpflaumt, weil sie nicht aus dem Bett kommt, die Abgründe dieser Alternative auslotet, ist ein Zuckerstück des Abends.

Anwalt Freitag lässt keinen Zweifel an der Unschuld seines Mandanten aufkommen. Schließlich hat der wackere Friseur Peter Holzer alles ausprobiert: arbeiten, wählen, auswandern. Weil ihn nichts vor dem Ruin bewahren konnte, hat er schließlich die Gülle in Hans Eichels Büro abgeladen. Freitags Plädoyer für seinen geschundenen Mandanten lautet deshalb folgerichtig: Freispruch.

SEBASTIAN SEDLMAYR

„Geld oder Gülle“ von Thomas Freitag, heute, morgen, 26., 28. und 31. Dezember, jeweils 20 Uhr, Comedia, Löwengasse 7-9, Tel 0221/3996010