Minister mit Gänsefüßchen

Hans-Heinrich Sander, einer der ersten FDP-Umweltminister der Republik, hat sich nach einem Dreivierteljahr im Amt viele Feinde gemacht. Jetzt wird der schwächste Mann in der niedersächsischen Landesregierung auch zum Problemfall für die CDU

Sander will Niedersachsen zum Land der Endlager machen„Umweltschutz findet unter diesem Minister nicht mehr statt“

aus HannoverKai Schöneberg

In dieser Landesregierung gebe es „keine Scherzkekse“, stellte sich der CDUler Bernd Altshusmann schützend im Landtag vor seinen Umweltminister. Nein, Hans-Heinrich Sander (FDP), ist kein Scherzkeks. Dafür wird das schwächste Mitglied der Landesregierung jetzt zum Fettnäpfchen-Minister – und damit zum Problemfall für die CDU. Hatte schon bei der Regierungsbildung niemand verstanden, warum der Landwirt Sander ausgerechnet das Umweltressort bekam, murmelt es derzeit in den Gängen des niedersächsischen Landtags, der 58-Jährige sei der erste, der einer Kabinettsumbildung zum Opfer fallen werde. Schlicht „inkompetent“ sei der „nette alte Herr“, höhnt die Opposition, zu ungestüm sei Sander, heißt es aus der CDU. Bisweilen müsse man Angst vor dem Aufschlagen der Zeitung haben.

„Endlich kümmert sich jemand um die Endlagerung in Deutschland. Danke, Herr Minister Sander“, haben die Bergleute vom Schacht Konrad auf Transparente geschrieben, als Sander an diesem Morgen zur Besichtigung im Schacht Konrad eintrifft. Hier, in den 40 Kilometer langen unterirdischen Gängen steht Sander noch für Hoffnung. Es riecht nach Eisen – schließlich wurde im Schacht bis 1976 Erz abgebaut. Und es riecht nach einer PR-Aktion von Umweltminister Sander.

Der brettert im Jeep durch die unterirdischen Röhren, posiert für Fotos mit Baggerführern und hopst mit dem Bergwerkschef auf riesige Schaufeln, die einst die Röhren für Deutschlands Atommüll baggern sollen. Nach der Besichtigung sagt Sander das, was er schon bei der Besichtigung im Salzstock Gorleben gesagt hat: „Wir haben keine Zeit, zu warten.“ Warten, das hieße, Know-how auf dem Gebiet der Endlagertechnik zu verschenken. Konrad sei im vergangenen Jahr als Endlager genehmigt worden, im Salzstock Gorleben werde seit Jahrzehnten erkundet. Da seien „Fakten geschaffen“ worden. Es gehe auch um die Jobs. Im Schacht Konrad arbeiten derzeit 86 Bergleute.

Sander will Niedersachsen offensichtlich zum Land der Endlager machen. Dabei ist der Landesminister gar nicht für Endlager zuständig – das ist Bundesumweltminister Jürgen Trittin. Dieser ätzt, Sander versuche „offenbar verzweifelt, Niedersachsen zum Atomklo der Republik zu machen“. Für die von Sander inszenierte Eile gebe es keinen Grund. Denn wegen des Ausstiegs aus der Atomkraft und neuer Verpackungstechniken für Abfälle werde das Volumen des einzulagernden Atommülls deutlich geringer ausfallen als gedacht.

Das kümmert Sander wenig. Direkt nach Ende der Gerichtsverfahren vor dem Oberlandesgericht in Lüneburg könne mit der Umrüstung zum Endlager begonnen werden. Sander: „2010 wäre ein denkbarer Zeitpunkt für die Inbetriebnahme.“

Das gibt nicht nur Krach mit den Grünen. Kein Ressortchef hat es bislang geschafft, die Umweltverbände so gegen sich aufzubringen wie Sander. Sein „Höflichkeitserlass“, nach dem Naturschützer sich jetzt für Kartierungen schriftlich bei Grundstücksbesitzern ankündigen müssen, steht in der Kritik. Ehrenamtliche müssten im Grundbuch nach den Besitzern fahnden – das schrecke ab, rügte der BUND. Dass Minister Sander – trotz Höflichkeitserlass – Vertreter von Kommunen auf einer Umwelttagung in Schneverdingen als „undemokratischen Haufen“ beschimpfte, jedoch nachher im Landtag eierte, er könne sich daran nicht erinnern, stieß auf weiteres Unverständnis.

Der Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU) setzt das Wort Umweltminister jetzt in seinen Mitteilungen nur noch in Gänsefüßchen: „Umweltminister“ Sander. „Geschmacklos“ findet der LBU Sanders bislang umstrittendsten Coup.

Bei dem Schacht-Termin ließ er sich nämlich mit einem T-Shirt ablichten, auf dem neben dem Warnzeichen für Kernenergie „kerngesund“ steht. Sander sei „nicht würdig, den Namen Umweltminister zu tragen“, sagte LBU-Vorstand Wolfgang Zingler. Der FDP-Mann müsse zurücktreten, ihm fehle „nicht nur der gebührende Abstand zu den Interessen der Atomindustrie, sondern auch jegliches Gespür“, legte die Grüne Rebecca Harms noch einen drauf. Die T-Shirt-Aktion sei „eine Verhöhnung aller Strahlengeschädigten“.

Von der Zerschlagung des Landesamtes für Ökologie bis hin zu Kürzungen bei den Umweltverbänden im Land: „Umweltschutz findet unter diesem Minister nicht mehr statt“, meckert der LBU. Liberalismus und Umweltpolitik – kann das gut gehen? Passen Laissez faire und der Regelungen erfordernde Schutz des Ökosystems überhaupt zusammen? Sander, einer der ersten FDP-Umweltminister der Republik, hat sich nach einem Dreivierteljahr im Amt viele Feinde gemacht. Auch bei den Wählern.

„Wir haben immer friedlich demonstriert mit unseren Treckern“, sagt Hartmut Leopold, Bauer und, wie er betont, für die CDU im Umweltausschuss von Salzgitter. Aber nun sei er „doch etwas frustriert, dass man nicht einmal das Urteil des OVG abwartet“. „VW Salzgitter hat interne Konkurrenzstandorte“, fügt ein Konzern-Betriebsrat hinzu. Der Konzern werde kaum noch in Salzgitter investieren, wenn Konrad zum Endlager werde. Schon seit Jahren fragten ihn die Kunden, „was denn mit meinen Erdbeeren sei“, erzählt Walther Traube. Der Bauer ist einer der Konrad-Kläger. Traube: „Wenn das Endlager kommt, kann ich aufhören.“ Falls bei der derzeit vom Bund favorisierten standortunabhängigen Suche tatsächlich Konrad als „kleinstes Übel“ herauskäme, werde man das akzeptieren, meint Jutta Ehlers vom Bündnis Salzgitter gegen Konrad. Aber so lange, so Ehlers, „erwarten wir von der Politik, dass sie sich wenigstens nicht um den Standort reißt.“