Kirche zieht die Hosen hoch

Domgemeinde stoppt die Proben zu den „Zehn Geboten“. Die Inszenierung wahre nicht die Würde des Raumes, der öffentliche Druck auf Kirche, Gemeinde und Dompastorin sei zu groß geworden. Regisseur Kresnik sei mit schuld am Aufruhr

„Fundamentalistische Stimmen in der Debatte könnten die Oberhand gewinnen“

Bremen taz ■ Auch die verschlossenen Domportale halfen nichts mehr. Tür zu, Passanten draußen, Regisseur Johann Kresnik samt Schauspielern und Requisiten drinnen – mit diesem Kompromiss hatten Theater und Kirche der öffentlichen Aufregung um die Inszenierung der „Zehn Gebote“ im Bremer Dom gestern noch Einhalt gebieten wollen. Doch die Telefone in den Pfarreien standen nicht mehr still, Dompastorin Ingrid Witte soll sogar zum Rücktritt aufgefordert worden sein. Nach stundenlanger Beratung zogen Bauherrin und Pastoren gestern die Notbremse und untersagten dem Bremer Theater bis auf Weiteres die Probenarbeit in den heiligen Hallen. Das Theater habe die mit ihm vereinbarten „Grenzen des Zumutbaren in eklatanter Weise überschritten“, begründete Witte den Schritt.

Am Tag zuvor noch hatte dieselbe Dompastorin öffentlich erklärt, man wolle zunächst – wie vereinbart – das Ende der Probenwoche abwarten und dann mit dem Theater über mögliche Änderungen diskutieren. Denn Kresnik hatte immer unterstrichen, seine Inszenierung sei „work in progress“, ein fertiges Skript liege noch nicht vor. Gestern bezog sich Witte auf ein der Gemeinde vorgelegtes Expose. Dieses habe den „kritischen Eindruck“, den die Proben „auch in der Öffentlichkeit“ hinterlassen hätten, bestätigt. Kresnik habe zudem selbst Öl ins Feuer gegossen. Die Qualitätsstandards, „die hier am Dom gelten“, seien zudem „zum jetzigen Zeitpunkt nicht gegeben“, zürnte Bauherrin Edda Bosse. Die Entscheidung fiel ohne Anhörung Kresniks. Heute soll in einem Gespräch mit Intendant Klaus Pierwoß geklärt werden, ob doch noch eine Chance besteht, das Projekt fortzuführen. „Alles ist offen“, kündigte Bosse an, stellte aber gleich darauf klar: „Sehr optimistisch sind wir nicht.“

Man könne den Entschluss nicht an einzelnen Details der Inszenierung festmachen, wehrte Pastorin Witte alle Nachfragen nach Hosenlängen und möglichen Nähsessions älterer Damen im Evakostüm ab. Pastor primarius Peter Ulrich gab sich in dieser Hinsicht offener: „Wenn er da in Sportunterhosen vor dem Altar liegt, ist das für mich ein Problem“, stänkerte er mit Blick auf Schauspieler Günter Kaufmann. „Und wenn er auf die Kanzel geht und dort etwas sagt, dann auch.“

Chefdramaturg Joachim Klement zeigte sich gestern „überrascht“ und „enttäuscht“ vom kirchlichen Stopp-Entscheid. Er warf der Gemeinde vor, „nicht mit öffentlichem Druck umgehen zu können“ und die Inszenierung zu verurteilen, bevor sie überhaupt stehe. „Sie hätte ja gezeigt, welchen Qualitätsmaßstäben sie standhält.“

Mit Genuss zitierte Klement aus einem Schreiben des Pastors der evangelischen Friedensgemeinde in der Humboldtstraße, Bernd Klingbeil-Jahr, der dem Theater sein Gotteshaus – wie schon vor Monaten – als Aufführungsort anbot. Er halte Kresniks Vorgehen für „geeignet, die kontroverse Debatte über die Relevanz der Gebote anzustoßen“, so Klingbeil-Jahr. Sollten „fundamentalistische Stimmen“ nun die Oberhand gewinnen und sich „mit ihrer teils bigotten Argumentation“ für eine generelle Absage an Kresniks Ideen durchsetzen, käme das einer „Niederlage der reformierten Kräfte in der Kirche“ gleich. Armin Simon