Hessen essen Hessen

Roland Koch und der Kannibalismus: Neue Nachrichten aus dem Land der Schlachteplatten und Menschenfresser

Nur zwei Tage hatte der vom „Verband der Köche Deutschlands“ (VKD) frisch gepökelte „Hobbykoch 2003“ Roland Koch Freude an seinem Lorbeerblatt in Gold. Denn dann schaute ihm schon die neue Lehrlingsgeneration in die Töpfe. „Wir kochen Koch“ stand auf den selbst geschriebenen Rezepten, mit denen sie ihrem Bärenhunger bei einer Protestdemonstration gegen die Magerquarkpolitik der Kultusministerin Karin Wolff Ausdruck verschafften. Die Lehrlinge wollen also just jenen Bock zur Zutat machen, den der Souverän zum Gärtner wählte. Und geben’s ihm schriftlich hinter die Löffel: Wenn sowieso im Lande Schmalhans Küchenmeister ist, dann gibt’s die Bouillabaisse eben schlicht à la Marseillaise.

Da staunte sogar Menschenfresser Armin M. im Kasseler Landgericht nicht schlecht, dass seine kulinarische Vorliebe so schnell in die Rezeptur der Nouvelle Cuisine seiner Heimat einziehen würde. Liegt Hessen also auch bei diesem Trend mal wieder deftig vorn? M. hatte sich ja nur an einem Berliner vergriffen, an das konsequente „Hessen essen Hessen“ hatte nicht mal er sich rangetraut. Angst essen vielleicht Seele auf, aber gleich den kranken Nachbarn?

Nun aber doch, und der Kochnachwuchs scheint schon abgebrüht genug, noch ehe dem Landesvater die erste Knoblauchzehe fehlt. Immerhin wollen sie ihn kochen, von Gewalt und vom Einsüberbraten ist nicht die Rede. Das ist in einem Landstrich, der seit Römergedenken von Schlachteplatte zu Schlachteplatte robbt, erfrischend neu. Mit der so genannten Aahlen Worschd wird nördlich des Vogelsberges nämlich so ziemlich jeder großgezogen und dem Tierschutz bereits in der Stillphase entwöhnt, der auch nur „Babba“ sagen kann. Denn dann gibt’s „Aahle Worschd“ ins Maul.

Deren Luxusausführung ist die „Stracke“, Serienheld unzähliger Anekdoten und sicher schon ständiger Zankzipfel zwischen den Brüdern Grimm. Sie ist armdick, hängt zum Trocknen und Härten jahrelang in Wurstkammern und hat die Länge eines Polizeiknüppels. Würde die organisierte Kriminalität im Lande mit „Aahler Worschd“ bekämpft, wäre sofort Schluss mit Autoklau und Drogenhandel. Dann wollten alle bloß noch sie: die Salami des Nordens, das Rote Gold der Fulda.

In Hessen also kocht nicht nur zusammen, was im Herdentrieb entflammt. Hier braut sich auch etwas zusammen, seit vor einigen Wochen eine Großdemonstration gegen die Kürzungen im Lande die Einwohnerzahl der Hauptstadt nahezu verdoppelte. Aber so ist er halt, der Hesse, sagt sich einfach: „Heute koch ich, morgen brau ich, bis drei kann sowieso im Lande keiner zählen.“ Schließlich haben sich auch die Brüder Grimm ihre Märchen in einer Brauerei, der „Knallhütte“, erzählen lassen, von der alten Vieh(!)männin, Vorname Dorothea.

Da nimmt’s nicht wunder, dass besonders der zuständige Wissenschaftsminister Udo Corts immer häufiger im präkulinarischen Ambiente anzutreffen ist: Mal mit Sahnetorte um die Ohren, wie bei einer Pressekonferenz in Kassel, als der neue Documenta-Leiter vorgestellt wurde, mal im übergeworfenen Frischeimantel, wie bei der Verleihung eines Historiker-Preises in Marburg dieser Tage.

In Hessen ticken die Eieruhren eben etwas anders als in Restdeutschland. Das hat schon Tacitus bemerkt, der den Vorfahren der Hessen, den Chatten, eine überbordende Lust an Schlachten jeder Art nachsagte – an der im Teutoburger Wald genauso wie im heimischen Chatroom am Römertopf geschlagenen (cf. „Germania“ Kap. 30 f.) Da sollte man eigentlich froh sein über alles, was die hessische Landjugend noch aus dem Geist der Ahnen bewahrend schöpft – und am allerwenigsten einen Wissenschaftsminister sauertöpfisch dreinblicken lassen. Selbst wenn Schiller seinen Schlächter Wallenstein prophetisch sprechen ließ: „Schnell fertig ist die Jugend mit dem Wort, das schwer sich handhabt wie des Messers Schneide“. Trotzdem: Mahlzeit!

REINHARD UMBACH