Herr Kaiser betritt den Automarkt

AUS ROSTOCK THOMAS GERLACH

Die Autobahn nach Rostock läuft glatt wie eine Bowlingbahn. Zwischen Leitplanken schießen Autos nach Norden, kein Chaos, kein Unfall, das Radio meldet freie Fahrt. Alles im Lot. Doch irgendwas läuft aus der Spur. „Nur das Geld regiert die Welt“, sagt Lutz Kaiser und zieht sich schon wieder eine Zigarette aus der Box. Eigentlich ist das keine schlechte Einstellung an einem Montagmorgen, und schon gar nicht für einen Unternehmer, der heute eine Weltneuheit präsentieren will. Kaiser hat das gepolsterte Lenkrad fest im Griff, der „Dacia Logan“ schnurrt gemütlich mit 120, alles stimmt: heute Rostock, dann Schwerin, morgen Tests mit Auto Bild. Lutz Kaiser ist bald „Mr. Logan“, der Mann mit dem preiswerten Auto aus Rumänien. Die Zeit für deutsche Karossen ist bald abgelaufen. Geld mag diese Welt regieren, Hauptsache, das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt.

Der Logan summt, als wüsste er, dass er heute bestaunt wird. Ein eleganter Passat setzt zum Überholen an, bleibt neben Kaiser, Blicke treffen sich. Es ist wie ein Systemvergleich – dort ein Konstrukt wie die satte Bundesrepublik: ein halbes Dutzend Airbags, Sitzheizung, Navigationssystem, Pferdestärken, dass sich die Haube beult, und neuerdings wieder Chrom – lieb gewordener Luxus, überladen, unbezahlbar. Hier der Logan: viel Raum, hart gefedert, wenig Platz für Illusionen.

Lutz Kaiser hat den Wagen im Oktober in Kroatien gekauft. In Deutschland ist er fast unbekannt. Der Renault-Konzern, dem die Logan-Fabrik im rumänischen Pitești gehört, will ihn hier erst 2005 anbieten. Aber ab jetzt kann ihn jeder kaufen: bei Lutz Kaiser aus Leipzig.

Kaiser ist jetzt 42. Er hat 14 lange Jahre eine Firma für Gerüstbau besessen. Gerüstbauer arbeiten immer am Abgrund, sind schwindelfrei und wie ihr Gerät aus robustem Material. Ein Blick in seine Augen genügt. Um 8 Millionen Mark sei er erleichtert worden – Kunden, die nicht zahlten, Arbeiter, die nicht arbeiteten, Geschäftspartner, die keine Partner waren, und dazu Abgaben, Abgaben, Abgaben. Lutz Kaiser kann das Wort nicht mehr hören. Fast 100 Meter hoch war sein höchstes Gerüst, und wenn es 1.000 Meter hoch gewesen wäre – was nützt das, wenn es mit Branche und Moral bergab geht? Im Mai hat er den Schlussstrich gezogen.

Etwas Einfaches, Geniales

Der Logan läuft durch Mecklenburg, er überholt, zieht Männerblicke an, auf der Motorhaube steht www.aldiauto.com, Kaisers neue Internetadresse, und bei jedem Spurwechsel piepst der Blinker hektisch, als messe er den Puls einer neuen, unsteten Zeit. Lutz Kaiser suchte im Sommer eine neue Geschäftsidee. Ein Unternehmer muss Ideen haben, sonst ist er bald weg vom Fenster. Etwas Einfaches, Geniales müsste es sein. Als Kaiser nach Jahren wieder einmal in Rumänien war, hat er einen Freund in der Stadt Baia Mare gefragt, was man denn exportieren könne. „Und was hat der gesagt? Das Einzige, was geht, sind Frauen“, erzählt Kaiser. Dann sah er in der Stadt den Logan, das war die ersehnte richtige Antwort: Das Aldiauto war geboren. Ende Oktober hat er seinen Logan in Kroatien erstanden, über diesen Händler wird er auch die Wagen importieren. Die Abfahrt Güstrow zieht vorbei.

Regeln, Gesetze, Bäume

„Srrrrrrrrt!“ Ein knappes, flüchtiges Surren irgendwo vorn links. „Was war das?“ Lutz Kaiser stutzt kurz, doch das Geräusch ist schon wieder fort. Kaiser ist ja nicht nur Importeur, er ist auch Testpilot, über 7.000 Kilometer in einem Monat. Beschleunigung, Bremsverhalten, Verbrauch – Kaiser könnte einen Fahrbericht nach Pitești schicken. Später vielleicht. Lutz Kaiser hat jetzt keine Zeit. Der Logan hat Rostock erreicht.

Genau genommen nur den grün gestrichenen Globus-Markt. Kaiser muss seine Präsentationsfläche organisieren. „Wer ist denn hier für Promoschnflächen zuständig?“, fragt er die Pförtnerin. Frau Spiller sei zuständig und Frau Spiller lässt ausrichten, dass wegen der Weihnachtsbäume, die abgeladen werden, kein Platz sei, erst Donnerstag wieder. „Das ist es, was mich nervt: keine Flexibilität, kein Abweichen von der Regel. Sobald du was anderes willst, geht das nicht“, stöhnt Kaiser, als ob überall in Deutschland längst unsichtbare Wände eingezogen wären: Regeln, Verordnungen, Satzungen, ganze Gesetzbücher und heute eben Weihnachtsbäume.

Lutz Kaiser eilt über einen grellen, endlosen Flur, als wäre er Schimanski. Hinter weißen Türen sitzen Angestellte mit festem Gehalt. Kaiser hat das seit der Währungsunion von 1990 nicht mehr. Das ist der Unterschied. Die hinter den Türen haben noch nicht gemerkt, dass sich der Wind gedreht hat. Endgültig. Frau Spiller bleibt freundlich. „Der junge Herr lässt sich nicht abwimmeln?“ Der junge Herr hat ein Produkt unten stehen, das die deutschen Autokonzerne das Fürchten lehren könnte und das ihn, den Ingenieur für Energetik Paul Lutz Kaiser, und manch anderen im Land ernähren würde. Eine Innovation, die bald auch in Russland, Iran, Marokko und Kolumbien montiert wird und die millionenfach den Erdball erobern wird wie einst die Säugetiere.

„Was präsentieren Sie denn eigentlich?“ Frau Spiller greift zum Prospekt. „Dacia? Noch nie gehört …“ Alles klar: Wer „Dacia“ nicht kennt, kommt aus dem Westen. In der DDR kam der schnittige, viel zu weich gefederte „Dacia 1300“, ein Lizenzbau des Renault 12, gleich nach dem sowjetischen Lada. Die Verhinderer sitzen also überall. Aber für 80 Euro plus Mehrwertsteuer bekommt Kaiser dann doch, was er braucht. Und knurrt beim Rausgehen, in Sachsen habe er bei Globus nur die Hälfte gezahlt. Noch schnell durch die Waschstraße, das Auto vor den Eingang geparkt und den Plexiglaskasten für die Prospekte ins Fenster gehängt. Ein letzter Blick.

„Was ist das?!“ Ein Fetzen Profil hängt nur locker am Reifen vorn links, darunter glänzt die Karkasse wie rohes schwarzes Fleisch. Das sieht nach Zusatzkosten aus. Um das klarzustellen: Die Winterreifen sind nicht original Logan, die hat Lutz Kaiser frisch aufziehen lassen. Egal, Lutz Kaiser lässt seinen Logan am Eingang zurück, stellt sich abseits, steckt sich eine Zigarette an und beobachtet. Phase eins der Präsentation. Die Leute sollen das Auto auf sich wirken lassen – ohne Gequatsche. Der Logan überzeugt auch so.

Tatsächlich, vorsichtig umkreisen Männer den Wagen, ziehen Prospekte heraus, manche haben vom 5.000-Euro-Auto gehört. Und sind enttäuscht, wenn sie Kaisers Preise sehen: 7.615 Euro für das Modell „Zwickau“, über 8.000 für „Chemnitz“, über 9.000 für „Dresden“ und fast 10.000 Euro für das Modell „Leipzig“. Lutz Kaiser wehrt ab: Selbst in Rumänien koste die billigste Variante 5.700 Euro. Und „Leipzig“ hat vieles, was der Passat von heute morgen auch zu bieten hatte. Kaisers heimatverbundene Kreationen inspirieren zumindest, ein Mann mit dickem Bauch, Helmut-Schmidt-Mütze und Würstchen in der Hand erinnert sich: „Ja, damals bin ich mit meinem Trabbi bis nach Zwickau gefahren, um eine Batterie zu bekommen …“

„Ich fang mal mit Phase zwei an“, sagt Kaiser, setzt sich die rote Baseballmütze auf, geht zum Logan und öffnet Türen und Motorhaube sperrangelweit. „Oha!“, ruft ein Alter, wieder „Oha!“ und nochmal „Oha!“ – so viel Auto für so wenig Geld! Ostrentner sind Kaisers favorisierte Zielgruppe. Die kaufen sich jetzt nach zehn, zwölf Jahren ein neues Auto, wollen was Solides, preiswert und ohne Schnörkel. Außerdem brauchen sie beim Einsteigen nicht so tief in die Hocke zu gehen, der Logan ist hoch gebaut.

Eigentlich hätte schon längst Phase drei beginnen müssen. Die Leute müssten bestellen, hat Kaiser doch den Wagen in Sachsen schon präsentiert. Aber sein Telefon schweigt, nur seine Frau ruft gelegentlich an. Der Logan animiert zu Erinnerungen, zu Scherzen, zu Fachsimpeleien, nur nicht zu Bestellungen. Noch nicht, tröstet sich Kaiser. Die Leute sind misstrauisch: Finanzierung, Vertrieb, Ersatzteile, Garantie – wer wird dafür geradestehen? Der drahtige kleine Mann mit der roten Mütze, dem sächsischen Akzent und den handgemachten Hochglanzprospekten? Bis jetzt hat Lutz Kaiser noch keinen Cent verdient, aber einige tausend Euro ausgegeben und für Renault und sein Billigauto Werbung gemacht. Renault-Chef Louis Schweitzer dürfte sich erfreut zurücklehnen – sollte er je davon erfahren.

Expansion nach Schweden

Ob sich Kaisers Pläne mit denen von Renault kreuzen? Der Konzern habe nie auf seine Anfragen nach Modellen, Verkauf, Preisen reagiert. Lutz Kaiser ist der erste deutsche Importeur und will bald nach Polen und Schweden expandieren. „Das ist freie Marktwirtschaft“, hat Kaiser am Morgen stolz gesagt. Der Logan könnte sich durchsetzen – und wenn persönlicher Einsatz zählt, auch Lutz Kaiser. Heute rast er nur noch mit gewechselten Pneus und 180 Sachen Richtung Schwerin. Er jagt roten Rückleuchten hinterher und wird vom gelben Licht im Nacken gehetzt. Geld regiert diese Welt. Die von Kaiser schluckt zurzeit rund 8 Liter Sprit. Der Blinker misst bei jedem Überholen den Puls.

Vier Tage später ein Anruf aus Leipzig: Auto Bild hat den Logan hart rangenommen. Alle Tests bestanden. Begeisterung. Herrlicher Sound. Lutz Kaisers Herz quillt kurz über – und ist doch verzagt. Die Aldi-Milliardäre haben sich per Fax gemeldet. Unter Androhung von 50.000 Euro haben sie eine Unterlassungserklärung geschickt und die Seite aldiauto.com vom Netz nehmen lassen. Dabei hatte Kaiser vorher Patentanwalt und Handelskammer konsultiert.

Aldi also auch. Unsichtbare Wände. Die Verhinderer sitzen wirklich überall.