Von Aachen bis Berlin

MULTIKULTI Funkhaus-Europa-Programmchefin Jona Teichmann über Sparen und Radio Multikulti

■ Die 35-Jährige ist seit 2003 die Programmchefin des Funkhauses Europa beim WDR. In Mettmann geboren, studierte Teichmann Geschichte, Journalistik und Politikwissenschaften und arbeitet seit 1990 beim WDR. Sie baute das Funkhaus Europa ab 1999 mit auf.

taz: Frau Teichmann, 10 Jahre Funkhaus Europa. Gratulation zum etablierten Programm oder zum – pardon – sechsten Rad am WDR-Wagen?

Jona Teichmann: Funkhaus Europa hat sich etabliert. Aus einem eher theoretisch geplanten Programm ist eine professionelle Hörfunkwelle geworden, die anerkanntermaßen eins von sechs WDR-Radios ist. Der WDR hat aber mit uns nicht nur ein schönes sechstes Programm, sondern auch eine immer besser arbeitende Fachredaktion für alle Fragen, die mit Interkulturalität zusammenhängen. Wenn es jetzt ums deutsch-türkische Zusammenleben geht oder in Italien Wahlen sind, erinnert man sich auch woanders im Haus an uns.

In anderen ARD-Anstalten gelten „Integrationsradios“ wie Funkhaus Europa aber als Kinder überkommener Zeiten.

Wir sind an der Spitze des Fortschritts. Die anderen machen es auch deshalb nicht, weil es Geld kostet, begehrte Frequenzen braucht – da nimmt man interkulturelle Fragen dann doch nicht so wichtig. Dass man argumentiert, solche Themen gehörten doch nicht in ein „Nischenprogramm“, sondern müssten von allen Wellen thematisiert werden, ist ein Scheinargument.

Doch gerade bei denen, die so argumentieren, kommen diese Themen in den Mainstream-Programmen fast gar nicht vor.

Ich bin, was die ARD angeht, nicht so optimistisch: Ich glaube kaum, dass viele jetzt in Zeiten knapper werdender Mittel auf die Idee kommen und sagen: Das ist ganz wichtig, das müssen wir auch machen – wenn schon nicht gleich mit einem eigenen Sender, dann vielleicht wenigstens mit eigenen Sendungen. Da sind wir beim WDR anders drauf.

Sie haben – eher ungewollt – auch das RBB-Radio Multikulti beerbt und senden für Berlin: Was sagen Sie den HörerInnen, die Ihr Angebot für Berlin als Etikettenschwindel begreifen?

Wir haben da schon Befürchtungen zerstreuen können. Natürlich können wir Multikulti mit der starken Verwurzelung in der Stadt nicht ersetzen. Das war uns immer klar, aber wohl nicht allen Leuten. Aber inzwischen können wir ganz gut mit wichtigen Berliner Themen umgehen. Die Hörerreaktionen sind auch sehr positiv. Es gibt natürlich Wünsche, den Berlinbezug weiter auszubauen. Das ist für uns eine Gratwanderung, weil wir ja auch für die Menschen in Aachen und Bielefeld senden. Wir werden beim Karneval der Kulturen in Berlin zum ersten Mal in Erscheinung treten und das Fest mit dem RBB präsentieren.

Die Kooperation mit dem RBB – der WDR liefert sein Funkhaus Europa für Berlin und Brandenburg, der RBB zahlt für Technik und Ausstrahlung – ist zunächst auf ein Jahr begrenzt. Geht es danach weiter?

Wir haben positive Signale aus beiden Geschäftsleitungen. Was bisher passiert ist, wird beim WDR wie beim RBB positiv bewertet. Und man wird auch drüber reden, ob man noch mehr gemeinsam machen kann.

Der ARD fehlen bis 2012 weitere 200 Millionen Euro Gebühreneinnahmen. Multikulti ist schon geopfert worden – wird Ihnen Ähnliches blühen?

Eine Garantie habe ich natürlich nicht, und beim WDR läuft selbstverständlich auch eine Spardebatte. Aber etwas Existenzbedrohendes sehe ich überhaupt nicht. Wir ziehen bald um, bekommen neue Studios, und Funkhaus Europa wird die Pilotwelle für den Einsatz neuer Technik im ganzen Hörfunk sein. So was macht man nicht, wenn der Laden zur Disposition stünde.

INTERVIEW: STEFFEN GRIMBERG