MICHA BRUMLIK GOTT UND DIE WELT
: Moderner Islam und Holocaust

Von einem allgemeinen „antifascist track“ der Muslime im Zweiten Weltkrieg lässt sich nicht sprechen

Ein Lieblingsthema der antideutschen Bloggosphäre ist der angeblich judenfeindliche Charakter nicht erst des arabischen Nationalismus, sondern schon des Islam selbst. Besonders gerne wird dabei unter Verkennung von wechselhaften 1.300 Jahren eine gerade Linie von der spätantiken Glaubenspolemik des Quran bis zu Hitlers Gast in Berlin, dem Großmufti von Jerusalem, Hadsch Amin al-Husseini, gezogen. Dass Hadsch Amin in seinem Hass gegen die jüdische Einwanderung den Holocaust guthieß und dass Hitler wider seinen sonstigen allgemeinen Rassismus mit diesem Führer der Araber gute Beziehungen pflegte, ist unbestritten. Unbestreitbar ist auch, dass Hadsch Amin muslimischen, bosnischen SS-Divisionen seinen Segen erteilte. Nie wird dabei allerdings erwähnt, dass er kein Muslimbruder, sondern schlicht ein antisemitischer arabischer Faschist war.

Gegen diese antiislamischen Schlussfolgerungen wehrt sich in der Mai/Juni-Ausgabe des in den USA erscheinenden jüdischen Magazins Tikkun der muslimische Gelehrte Zaid Shakir. Er will im Gegenzug die antifaschistischen Verdienste von Muslimen im 20. Jh. nachweisen. Dabei behauptet er erstens, dass während des Zweiten Weltkriegs tausende von Palästinensern in eigenen Brigaden der britischen Armee gedient hätten und eben nicht Hadsch Amins Ruf zum Dschihad gegen die Juden gefolgt seien. Zakir behauptet zweitens, dass tausende Muslime am Kampf von de Gaulles „freiem Frankreich“ gegen die deutsche Besetzung teilnahmen – insbesondere eine größere Gruppe senegalesischer Soldaten. Drittens will er belegen, dass hunderttausende indische Muslime in der britischen Armee in Südasien dienten – ein Anteil, der den muslimischen Anteil an der indischen Bevölkerung bei weitem übertroffen habe. Der politische Führer der Muslime in Indien und einer der Gründer Pakistans, Muhammad Ali Jinnah, unterstützte diesen Kurs tatsächlich ebenso massiv, wie er Hitler kritisierte.

Last, but not least wird in dieser antifaschistischen Leistungsbilanz der marokkanische König Mohammed V. aufgeführt, der während des Krieges marokkanische Juden vor der Deportation bewahrt habe. Schließlich erwähnt Zakir die Große Moschee von Paris, die während der Besetzung 1.700 jüdische Kinder vor der Deportation rettete.

Man liest all dies mit Skepsis, indes: Muhammad Ali Jinnah war tatsächlich ein überzeugter Gegner des nationalsozialistischen Deutschland; für Mohammed V. von Marokko konnte die Forschung bisher keinen Nachweis für seine Rettungsaktivitäten finden, vielmehr zeichnet sich ab, dass er ein Doppelspiel zwischen den Angloamerikanern und den Deutschen spielte. Von palästinensischen Brigaden in den Reihen der britischen Armee berichtet weder der führende Historiker der Palästinenser, Rashid Khalidi, noch der mit der palästinensischen Sache sympathisierende israelische Historiker Ilan Pappe auch nur das Geringste. Was aber Britisch-Indien betrifft, so gilt, dass die gegen die Briten gerichtete antikolonialistische Bewegung tief gespalten war und die indischen Muslime gute Gründe hatten, sich gegen die mit dem Deutschen Reich sympathisierende hindunationalistische Bewegung von Chandra Bose zu stellen.

Die Große Mosche von Paris unter ihrem Imam Kaddour ben Kabrit aber stand gemäß interner Mitteilungen der Vichy-Regierung im September 1940 tatsächlich unter dem Verdacht, Juden in „betrügerischer Weise“ Zertifikate ausgestellt zu haben, die sie als Muslime auswiesen – eine Strategie, die mit Vertretern der algerischen Unabhängigkeitsbewegung abgesprochen war. Endlich haben meist kabylische algerische Widerstandskämpfer in Frankreich abgesprungene britische Fallschirmjäger unterstützt und es jüdischen Familien ermöglicht, nach Nordafrika zu entkommen.

Anders, als Zaid Shakir es will, lässt sich also von einem allgemeinen „antifascist track“ der Muslime im Zweiten Weltkrieg nicht sprechen; zu einfach aber macht man es sich mit der essenzialistischen Ansicht, in Hadsch Amin al-Husseini sei der Islam, was die Juden betrifft, zu sich selbst gekommen.