Der Pop der neuen Ukraine

Nächstes Jahr soll der Eurovision Song Contest in Kiew stattfinden. Ist das bei der gegenwärtigen Krise angebracht? Und überhaupt machbar? Fragen an den NDR-Unterhaltungschef Meier-Beer

INTERVIEW JAN FEDDERSEN

taz: Herr Meier-Beer, Sie haben sich als Mitglied der Organisationsgruppe der Eurovision jüngst in Kiew umgesehen, um zu prüfen, ob dort in sechs Monaten der 50. Eurovision Song Contest stattfinden kann. Und?

Jürgen Meier-Beer: Wir haben den Eindruck gewonnen, dass man sich in der Ukraine sehr auf dieses Event freut, gerade vonseiten der Demokratiebewegung. Man möchte sich mit dieser Show in ganz Europa als neue Ukraine präsentieren.

Müsste man in Kiew nicht andere Sorgen haben als die, eine Popshow zu veranstalten?

Dachten wir zuerst ja auch, aber wir bekamen überall Signale, dass wir bitte alles tun mögen, die Show in Kiew zu sichern.

Offen ist, wie sich die Ukraine entwickeln wird. Haben Sie ein Ausweichquartier in petto?

Nein. Wie jedes Jahr aber muss für den Fall, dass die Sendung am vorgesehenen Ort nicht zustande kommt, Vorsorge getroffen werden, um das Event anderweitig zu retten.

Gibt es besondere Vorsorgemaßnahmen in Sachen Kiew?

Nein. Ich erinnere daran, dass wir vor einem Jahr uns fragten, wie wir auf die Bombenanschläge in Istanbul reagieren sollen – kurz vor der Eurovisionsshow am Bosporus. Es gab starke Argumente, aus Sicherheitsgründen die Sendung von dort abzuziehen. Wir als Organisationsgruppe fanden aber, vor Terrorismus dürfe man nicht zurückweichen.

Haben Sie aber überhaupt noch die gleichen Vertragspartner für die Show im Mai?

Die Rechte für die Eurovision liegen beim ukrainischen Staatsfernsehen. Dessen Leiter, Herr Sawenko, war der alten Nomenklatur treu. Er hat ein entsprechend lammfrommes Programm gewährleistet.

Amtiert Herr Sawenko noch?

Ja, aber wie sich im Sender die Atmosphäre verändert hat, wurde uns deutlich, als ein Fernsehteam seiner eigenen Anstalt kam, um ihn zu interviewen. Da trugen sowohl der Kameramann als auch der Reporter jeweils orangefarbene Schleifen.

Ist das schon der Beginn eines journalistischen, unpropagandistischen Fernsehens?

Ganz entschieden. Man wolle nicht mehr lügen, sagen sie sogar vor laufenden Kameras. Insofern haben wir es mit einem Unternehmen im Umbruch zu tun, wo Alt und Neu sich mischen.

Schön, aber hilft das schon bei den Planungen?

Wir versuchen erstens zu gewährleisten, dass eine stabile Planung gelingt – zum Beispiel was die Hallenfrage betrifft. Zweitens aber müssen wir aufpassen, dass das Konzept der Sendung ein Ausdruck der neuen Ukraine ist. Wir wollen die Aufbruchstimmung in dieser Show zeigen.

Sollte es nicht Eurovisionsregel sein, dass an seinem Song Contest nur teilnehmen darf, wer aus einem demokratischen Land kommt? Anders als früher, als die Rechtsdiktaturen Spanien und Portugal beim Grand Prix mitmachten?

Hätte es eine solche Regel gegeben, dann wäre die Teilnahme der Ukraine in den letzten beiden Jahren nicht selbstverständlich gewesen. Dass die Ukraine teilgenommen und mit Ruslana gewonnen hat, dass sie selbst sich als eine der Ersten in die Demokratiebewegung gegen die Wahlfälschungen eingereiht hat, hatte doch eine sehr positive Wirkung. Man sollte also nicht die Regeln streng fassen, sondern lieber prüfen, ob die Show transparent organisiert wird.

Könnte ein Eurovision Song Contest im totalitären Weißrussland stattfinden?

Mein größter Traum wäre, würde nächstes Jahr Weißrussland gewinnen – und 2006 in Minsk die Show unter ähnlich aufbrüchigen Bedingungen realisiert wird wie jetzt in der Ukraine.