Die schöne Welt der Autotester

Wozu karren Automobilunternehmen Medienschaffende ins sonnige Ausland? Weil es einfach wichtig ist, die Tester in eine Situation zu versetzen, aus der sie objektiv und kritisch über das neue Superauto berichten können. Ein Autotester-Testbericht

VON KATRIN WILKENS

Journalisten sind unabhängig, kritisch, objektiv. Und manchmal schwindeln sie ein bisschen. Am schönsten lässt sich diese Selbstdarstellungsmatrize von „Wir sind geil, wir sind frei“ entfärben, wenn man sich mal genau anschaut, wie, sagen wir mal, Autos getestet werden. Eine große Autofirma schaltet Anzeigen. Viel, oft, teuer. Einmal im Jahr stellt sie ein neues Modell vor und lädt Journalisten zum Autotest ein.

Der Leiter der Anzeigenabteilung überfliegt den Jahreswerbeetat und sagt zur Redaktion: jo, da müssen wir hin. Print-Medien haben keine GEZ, sie finanzieren sich, nein, nicht über den läppischen Verkaufspreis, sondern über Werbung. Fast ausschließlich.

Och nö, schon wieder – nörgeln hilft nicht. Also werden Volontäre hingeschickt oder Praktikanten oder freie Mitarbeiter. Festangestellte Redakteure fliegen nur, wenn sie noch nie in der Toskana waren, endlich mal nach Malle wollen oder schon immer mal in der Hügellandschaft Lanzarotes herumgurken möchten. Gute Termine dauern genau zwei Tage, schlechte drei angefressene: Montagmorgen los, einsteigen, umsteigen, aussteigen, Mittwochnachmittag zurück.

Jeder weiß, dass die Texte, die man hinterher über die Testfahrtage schreibt, ähm, man auch ohne Testfahrtage schreiben könnte. Es entstehen Sätze wie „Die Materialien fühlen sich innen wie außen in der Tat noch besser an, die Schulterfreiheit wuchs merklich um 44 Millimeter“ oder „Der Vorteil des Frontantriebs ist in diesem Wagen spürbar und nutzbar. Bei starkem Seitenwind werden ‚Windschläge‘ zwar registriert, verursachen aber keine Beeinträchtigung des Fahrverhaltens“. Das ist so verschnarcht und ballonseiden-langweilig, dass man den Bierdunst riecht, der beim Schreiben aufgestoßen wurde. Solche Sätze haben mit der Leserwirklichkeit so viel zu tun wie die Testreise mit der Journalistenwirklichkeit. Schon am Flughafen ein Begrüßungsbuffet. Avokado-Lachsröllchen, Blumenköhlchen-Schinkenspeck und Kaviar-Limettendipps. Und ganz sicher ist auch ein schnaufender Altgediehener dabei, der – „letztes Mal gab es Sekt, müsst ihr jetzt auch schon sparen?“ – das Dauerlächeln der Pressebegrüßungs-PR-Damen unterbricht. Bunter Schlips, viel zu hoch sitzende Krawattennadel, schief gelaufene Slipper. Man darf vermuten, dass er den Rest der Woche noch keine Avokado-Lachsröllchen, Blumenköhlchen-Schinkenspeck oder Kaviar-Limettendipps bekam.

Man steigt in das eigens gecharterte Flugzeug. Die Zeitschriften sind knapp, der Kaffee nur Kaffee und das Hummerfleisch ist zäh.

„Bringen Sie mir bitte ein neues Glas“, fragt eine Journalistin die Stewardess, und als diese nicht prompt reagiert, wird der Ton deutlicher: „Bringen Sie mir bitte ein neues Glas, das ist jetzt das Wichtigste überhaupt.“

Das Glas kommt, die Kollegin nickt den anderen zu. Pupilliger Beifall. Die nächsten Minuten sind gerettet. Man zählt sich gegenseitig die Mängel auf, um mitreisenden Kollegen zu zeigen: Ich bin so kosmopolitisch, dass ich Fleischgeschmeidigkeitsgrade bei Krustentieren in 2.000 Meter Höhe spielend unterscheide. Nach und nach nicken alle ein und verströmen das frühere Klassenfahrtengefühl, wo schon die Hinfahrt so aufregend war, dass sie viele nicht wach erlebten: so reizüberflutend spannend war die Nacht vorher, die Aufregung, das Packen, nun also doch: auch wir Alten sind nervös.

Wozu muss man neue Automodelle überhaupt im Ausland testen? Täte es nicht auch Mannheim oder Kiel, und wenn es denn partout ausgefallen sein muss, nicht auch der Nürburgring?

„Ausschließlich aus Wettergründen“, lächeln die Automobilhersteller-PR- Frauen, „wir wissen ja, Sie haben nicht ewig Zeit und brauchen optimale Bedingungen für den Test.“

Haben Realschullehrer optimale Testbedingungen, wenn sie den neuen Ford Focus testen? Wozu brauchen Journalisten optimale Testbedingungen, wenn kein Kunde der Welt ein Auto mit optimalen Testbedingungen fährt?

Warum kann man nicht sagen: Weil wir Ihnen etwas bieten möchten, Ihnen aber nicht 1.000 Euro bar geben dürfen. Weil Sie glauben sollen, uns sind keine Unkosten zu schade, um Sie von der Qualität dieses Superautos zu überzeugen. Weil Sie glauben sollen, Sie sind uns ein unglaublich wertvoller Pressevertreter, der hinterher ganz objektiv über unser bestes Auto der Welt schreibt. Weil wir Sie gern verarschen.

Ein Fläschchen Balsamico

Die meisten Hotels, in denen man bei Autotestreisen unterkommt, sind teuer. Arschteuer. Mein letztes war ein toskanischer Palazzo und hat 860 Euro gekostet, pro Nacht. Keines meiner Hochzeitsreise war so teuer. Es hatte ein messingglänzendes Glasscheiben-Kalkflecken-freies Bad, eine branchenfreundliche Hotelbar (2 x Whisky, 4 x Gin, 1 x Mineralwasser, 5 x Erdnüsse) und ein Geschenk auf dem Bett.

Geschenke sind heikel. Sie müssen wertig sein, aber dürfen nicht zu teuer aussehen, weil sonst die Doofsten draufkommen, dass man diesen Warenaustausch Bestechung nennt. Es muss zum Produkt oder besser: zum Image des Produkts und zum Anlass passen. In meinem Fall bekamen wir alle ein Fläschchen Balsamico-Essig, der wahrscheinlich älter war als die Familiendynastie der Hohenstaufen. Klein, ganz unauffällig lag er bei den Presseunterlagen (mit Block, mit Stift: Warum denken Firmen stets, dass Journalisten ohne Stift anreisen? Bringen wir dem Zahnarzt den Speichelsauger mit?)

Um 17 Uhr ist Empfang unter dem Baldachin. Richtig aufgetrüffelt. Die Herren tragen Anzug und Schlips, und wer ohne Einstecktuch kommt, gilt schon als salopp. Zumindest wenn er zu der Automobilseite zählt.

Die Pressevertreter klemmen sich unter ihr Polohemd noch einen Binder oder erscheinen gleich mit abstrusen Kauderwelschkombinationen: so als wäre ihr Outfit der textilgewordene Turm zu Babylon: an dem viele Sprachen mitgearbeitet haben, ohne sich aber gegenseitig verstehen zu können.

Die Damen lieben es auffälliger und irgendwie beschleicht einen schon wieder das Gefühl: hotzverdorri, was stimmt hier nicht? Ich will von einem Industriezweig über die Vorzüge ihres neusten Produktes informiert werden. Wozu brauche ich da Highheels, Prosecco und einen Lippenstift in Kardinalrot?

Wir werden durch einen Gang geführt, geschmückt mit Autowerbung, in eine Halle gebracht, geschmückt mit aufgeschnittenen Autoteilen und auf Sitze platziert, dekoriert mit Schreibblöckchen und Stiftchen, und dann geht die Show los, die ganz große: Spezialisten referieren über Stoßdämpferkapazitäten, Drehmomente und Gurtstraffbegrenzer, und ich sitze unter eifrig Nickenden: Wahnsinn, und die sprechen deutsch. Doch eigentlich klingt es deutsch, aber ich verstehe kein Wort. Zu jedem anderen Themenkomplex werden wir auf einer riesigen Drehscheibe verrückt: Technik, Verbrauch und Sicherheit, ach ja und dann noch Design: Es sei keine Evolution, die er da mache, erklärt der Chefdesigner, und alle im Saal nicken bei der primelspießigen Farbe wohlgefällig, es sei Revolution! Das ist nun neu: Primelblau als Farbe der Revolution. Länger als eine Stunde dauert die Konferenz nicht, danach ist sieben Stunden Fressen angesetzt, mit einer Menüauswahl, die jede Hochzeitsfeier sprengen würde. „Ich würde gern mal wieder ein Spiegelei essen“, sagt der Autochef, weil er drei Wochen lang jeden Tag andere Journalisten um sich hat. Aber immer das gleiche Spitzmundfutter: leichte Champagnerhütchen, cremige Parmesanhäppchen, blumige Rotweinzwetschen.

Am nächsten Morgen die Testfahrt, endlich, dafür sind wir ja da. Wie fährt denn jetzt das Wunderwerk an Evolu …, ähh, Revolution? Es fährt … wie ein Auto. Entschuldigung, aber jedes Geschwätz von Bremsverhalten und Beschleunigungsgeräusch besteht aus Ich-bin-wichtig-Sprüchen, die Autojournalisten von sich geben, weil irgendeine Kompetenz sie ja haben müssen. Ich lege mich gern mit jedem von ihnen an und schreie deshalb ganz laut heraus: Ich glaube nicht, dass man Fahrunterschiede zwischen zwei Neuwagen derselben Klasse merkt, alle bremsen prima, dafür sind es Neuwagen!

Warum eigentlich so ein Gewese um diese Zunft? Weil es keinen einzigen kritischen Autotest in Zeitungen oder Zeitschriften gibt. Man will es sich nicht mit den Anzeigenkunden verscherzen. Weil man so die Leser zu unmündigen amorphen Klumpen mutieren lässt, denen es egal ist, was sie lesen. Weil es eine komische Art der selbstverständlichen Bestechung ist, die überall üblich ist, aber gerade deswegen anprangerungswert. Weil es nichts mit unabhängiger journalistischer Berichterstattung zu tun hat, wenn ich zu einem Autotest nach Australien geladen werde. Weil mich diese Selbstverständlichkeit nervt, mit der viele gern behaupten: Das Auto ist den Deutschen heilig. Und: Das ist eben so. Eben. Drum.