„Der Fluch des Gewinnens bei eBay“

Der Kölner Professor Axel Ockenfels untersucht mit spieltheoretischen Ansätzen das Geschehen bei Internetauktionen. Dafür hat er jetzt den Leibnizpreis erhalten, die höchstdotierte Auszeichnung in der deutschen Forschungslandschaft

taz: Herr Ockenfels, Sie sind unter anderem für ihre spieltheoretischen Erforschungen von Internetauktionen bei eBay ausgezeichnet worden. Dabei geht es dort doch um reale, oft professionelle Geschäfte.

Axel Ockenfels: Das ist kein Widerspruch. Die Spieltheorie beschreibt strategisches Handeln. Das gibt es beim Schach und Poker ebenso wie in der Wirtschaft. Zudem gelten auch für Teilnehmer eines Marktes Spielregeln, gerade bei Auktionen.

Die Theorie geht davon aus, dass sich Menschen immer rational verhalten. Tun sie das?

Oft, aber nicht immer. Viele Teilnehmer bieten etwa stufenweise, obwohl das bei eBay nicht nötig ist. Dort kann man frühzeitig sein Höchstgebot abgeben. Dann sorgen elektronische Bietagenten dafür, dass das höchste Gebot zu einem möglichst geringen Preis gewinnt.

Warum tun es die Leute trotzdem?

Vielen mangelt es an Erfahrung. Und die, die Bescheid wissen, stellen sich auf das nichtrationale Verhalten ein und bieten zum Beispiel erst in den letzten Sekunden, weil das gegen stufenweises Bieten eine gute Strategie ist.

Das klingt doch aber wieder sehr rational.

Stimmt. Die Bieter wollen sich ja auch rational verhalten, aber sie können es nicht immer. Ich gebe in Vorlesungen oft ein Marmeladenglas mit Cent-Stücken herum und fordere die Studenten auf zu bieten. Sie nehmen das Glas in die Hand, dürfen den Wert des Inhalts schätzen, aber nicht nachzählen. Was passiert? Das durchschnittliche Gebot trifft den Wert ganz gut, aber das Höchstgebot liegt meist weit über dem Wert – das nennt man den Fluch des Gewinnens.

Übertragen auf den Internethandel und andere Auktionen zeigt das also einen Mangel an Transparenz und Wissen?

Man muss mit seinem Nichtwissen rational umgehen, zum Beispiel mit der Unsicherheit über die Vertrauenswürdigkeit des Verkäufers. An diesem Punkt forschen wir zurzeit intensiv. Wie kann in einer anonymen Umgebung wie dem Internet Vertrauenswürdigkeit und Moral induziert werden? Das ist eine wichtige Frage, denn die Zahl der Betrugsfälle steigt.

Lohnen sich denn Ehrlichkeit und Fairness wirklich? In der Wirtschaft geht es doch vor allem um egoistische Motive und den Gewinn.

Das ist die Brille, mit der viele Ökonomen die Welt sehen. Ich glaube, dass das falsch ist. Alle unsere Experimente zeigen, dass Fairness und kooperatives Verhalten durchaus letztlich rational sind und sich auszahlen.

Sagen Sie das auch den Anlegern, die viel Geld am Aktienmarkt verloren haben? Was ist mit den Spekulanten?

Unsere Forschungen zeigen, dass Blasen selbst dann entstehen können, wenn es praktisch keine Unsicherheit gibt. Die Ursache ist Spekulation über das Verhalten anderer, wie zurzeit wohl an den Ölmärkten.

Ich muss rational ein irrationales Verhalten vorwegnehmen?

So irrational ist das gar nicht. Wenn alle davon ausgehen, dass der Preis steigt, ist es sehr rational, mehr als den fundamentalen Wert zu zahlen. Man muss nur aussteigen, bevor die Blase platzt. Jeder geht davon aus, dass er es schafft – nicht allen gelingt es.

INTERVIEW: STEPHAN KOSCH