Krokodile an Leine und Weser

„Geologisch leben“ öffnet Hobbygeologen, Fossilien-Freaks und Sammlernaturen neue Einsichten in Millionen Jahre alte Erdgeschichte: Bad Segeberg steigt jedes Jahr höher und bei Hannover spazierten Dinosaurier herum

Schon ist von einem vorzeitlichen Krokodilsfriedhof die Rede

Die meisten sind voll geständig: Schränke voll mit Steinen haben sie zu Hause – und deshalb vielfach die Auflage, dass sie neue Fossilien-Funde nur noch gegen alte austauschen. „Meine Frau lässt nicht mehr mit sich handeln“, stöhnt der Erdkundelehrer aus Kiel. Nur in der Garage darf er noch lagern. Gleichgesinnte stehen im Kreis um ihn herum und nicken mitfühlend. Auch in ihren Regalen biegen sich schon die Böden. Sie alle sind an diesem Samstag zwischen 80 und 400 Kilometer gefahren – um im Steinbruch von Marienhagen, rund 60 Kilometer östlich von Hannover, nach Fossilien zu suchen. Unter Anleitung.

Evelyn und Andreas Hincke – so heißen die Veranstalter von „geologisch erleben“. Im Bulli kam das Paar pünktlich um zehn Uhr morgens aus der Nordheide angeknattert. Wie Pat und Pattachon – sie rund und klein, er groß und dünn – stehen die Diplom-Geologen nun vor ihrem Publikum und ergänzen sich. Ihr geologisches Wissen, das sie niemandem aufdrängen und das doch jederzeit abrufbar ist, paart sich mit seinem pädagogischem und praktischem Geschick.

„Hier im Weser-Wiehengebirge treffen wir auf das erste Festgestein aus dem Erdmittelalter“, erinnert Evelyn Hincke die angereisten Steinefans an ihre langweilige Anfahrt durch die norddeutsche Tiefebene. Ja, dort finde man nur eiszeitliche Gesteine. Wie nebenbei streift die studierte Geologin und Hochschul-Dozentin unterirdische Bruchschollengebirge mit Salzbrüchen, die Stöcke wie Gorleben beispielsweise hinterlassen. Auch von „aufsteigenden Salzen“ ist die Rede. „Bad Segeberg ist in den letzten 5000 Jahren um mindestens 200 Meter aufgestiegen“, bringt sie die Runde um sich herum zum Staunen. In Gummistiefeln stehen sie da, 15 Frauen und Männer, die Eimer in der Hand, bereit, den nahe gelegenen Steinbruch zu stürmen. Hobby-GeologInnen oder einfache Sammler-Naturen, denen die Hinckes aber erst noch ein kleines Fenster auf die norddeutsche Landschaft vor Millionen von Jahren öffnen.

Plötzlich befindet sich die Gruppe in der Schichtstufenlandschaft des Ith-Hils-Höhenzuges, schräg gestellte Schichten aus der Kreide- und Jurazeit liegen vor ihr. Der Steinbruch verspricht ein Ausflug in den Malm zu werden. Beweise werden die versprochenen Fundstücke liefern: speziell geformte Mytilus-Muscheln und Natica-Schnecken, die in der Oberjurazeit – vor unvorstellbar vielen Jahren – im Wasser lebten und dann im Sediment versteinerten. Das Oberjura – Peter Hincke weist es auf der geologischen Wanderkarte aus, die er hoch hält. Der anwesende Brite murmelt „Jurassic-Park“ – und wird benickt. Wenige Kilometer weiter, bei Münchehagen, wurden versteinerte Dinosaurierspuren im Gestein gefunden. Dort siedelt auch „Deutschlands größtes Dinosauriermuseum“.

Ein Franzose aus Bremen dagegen steht auf große Stücke. Aus Marokko und sonstwoher hat er schon welche nach Deutschland geschleppt. Jetzt liegen sie in seinem Wohnzimmer. Er wird auch dieses Mal Glück haben – und später eine der größten Natica-Schnecken auf der Hand halten: fast drei Zentimeter im Durchmesser, blass und ein wenig Weinberg-schneckig. Und dafür fährt er über hundert Kilometer?

„Nur dieses Mal“, lacht der Mittvierziger, dass er Schnecken lieber esse. „Ich war einfach neugierig was das hier ist.“ Zu Hause in seinem Wohnzimmer lagere ein handtellergroßer Trilobit, wunderschön, in schwarz-glänzendem Sediment gefangen. Nichts, was sich in Marienhagen finden ließe. Dafür drängen sich Tintlinge auf dem kalkigen Boden. Schon träumt der Franzose laut von einer Pilzpfanne – ob denn niemand ein Messer habe?

Nein, nur Hämmerchen haben sie, Lupen, Schutzhelme auf dem Kopf und jede Menge Leinentaschen, um die Funde darin doch irgendwie zu Hause einzuschmuggeln. Bei den kleinen, zierlichen Schnecken, die die meisten heute locker aus dem Gestein brechen, wird das leicht fallen. Allerdings – die Krokodilszähne lösen Finderstolz aus, der sich nicht wird geheim halten lassen.

„Ein seltener Fund, das hatten wir hier noch nie“, hält Evelyn Hincke den Zahn in die Höhe. Wie eine schwarze Perle sieht er aus. Jetzt bricht Sammlerwut los. Dicht an dicht rücken die Fossilienfans, die vorher eigene Claims diskret mit Täschchen, Hämmerchen und Essenspaketen gekennzeichnet hatten, in die Fundregion vor. Die Späheraugen siegen: Noch vier Zähne werden entdeckt. Schon ist von einem vorzeitlichen Krokodilsfriedhof die Rede und von Babykrokodilen und ihren Müttern. Beruhigend unsentimental ist dagegen die Hincke‘sche Betrachtungsweise, dass es sich hier um ein Flachwassergebiet gehandelt habe. Ebenso der Hinweis, dass Krokodile damals anders aussahen, deswegen die runden Zähnchen, bohnenförmig, die nur Pflanzliches malmten. Jawohl, damals im Weserbergland.

Der Steinbruch verspricht ein Ausflug in das Zeitalter des Malm zu werden In Gummistiefeln stehen sie bereit, den nahe gelegenen Steinbruch zu stürmen

Diese Region ist nur ein bescheidenes Ziel im Katalog der Hinckes, die ihr Programm jedes Jahr ein wenig verändern, seit sie www.geologisch-erleben.de vor rund vier Jahren gegründet haben. Im In- und Ausland suchen sie seither Fossilien oder Mineralien. Bis nach Frankreich, Italien oder England geht die Reise bisweilen – um aus Steinen die Geschichten der Weltentstehung zu lesen.Eva Rhode

Kosten für Tagesexkursionen: 25 Euro. Das neue Programm 2004 liegt vor. Kontakt: Hincke, Becksfelder Weg 4, 21279 Appel, ☎ 04165-211 436