Wenn der Kinosaal zum Hochsicherheitstrakt wird

Die Kampagne der Filmbranche gegen das illegale Kopieren zeigt erste Wirkung. Aber reicht es, ganze Legionen von Kinofans zu kriminalisieren?

Bei Presse-Previews sind die Sicherheitschecks längst strenger als bei der Einreise in die USA

Wundern Sie sich nicht, wenn ausgestorben geglaubte Berufe wie der Platzanweiser oder die Eisverkäuferin plötzlich wieder im Kinosaal auftauchen. Die Damen und Herren könnten in Wirklichkeit auf der Jagd nach Raubkopierern sein, die im Schutz der Dunkelheit die Filme auf ihrem Camcorder mitschneiden. 500 Euro Fangprämie zahlt eine Kinokette ihren Angestellten für einen erwischten Missetäter. Filmkritiker haben sich deswegen längst daran gewöhnt, vor einer Pressevorführung strengere Sicherheitschecks über sich ergehen zu lassen, als sie bei der Einreise in die USA üblich sind.

Hochsicherheitstrakt Kino. Denn die Bösewichter sind nicht mehr auf der Leinwand, sie sitzen davor: 90 Prozent aller Raubkopien im Umlauf stammen von illegalen Mitschnitten im Saal, schätzt die US-Filmlobby MPAA. Verbreitet werden die Kopien anschließend via Internet, privat über Tauschbörsen oder über leistungsfähige Server, die für den Zugriff Gebühren kassieren. Auf den Festplatten dieser Rechner lagern oft mehrere tausend Filme, die noch vor dem Leinwandstart auf den Monitoren landen. Allerdings braucht es Nerven und Geduld, um sich die neuesten Blockbuster direkt aus dem Netz zu ziehen. Selbst mit einem schnellen Anschluss kann der Download immer noch Stunden oder Tage dauern. Der Rohling dient dann oft als Vorlage für weitere Kopien. Denn die wichtigste Kopierquelle ist nicht das Internet, sondern sind bereits kopierte Spielfilm-CDs oder -DVDs, wie eine Studie der Filmförderungsanstalt (FFA) jüngst ermittelt hat.

„Brenner-Studie 2“ heißt dieses Zahlenwerk, mit dem die Industrie belegen will, dass es sich bei Filmpiraterie nicht mehr um eine tolerierbare Randerscheinung handelt, sondern um ein „Massenphänomen“. Über 5 Millionen Deutsche haben demnach in diesem Jahr bereits Spielfilme auf Silberscheiben gebrannt, auf mehr als 30 Millionen Rohlinge. Den entstandenen Schaden schätzt die Zukunft Kino Marketing GmbH (ZKM) für das vergangene Jahr auf rund 800 Millionen Euro.

Eine Zahl, die mit Vorsicht zu genießen ist – nicht jeder heruntergeladene Film bedeutet zugleich eine verlorene Kinokarte. Nicht einmal die FFA möchte die Schwarzbrenner allein verantwortlich machen für den Rückgang an den Kinokassen. Weitere mögliche Gründe seien, neben der „konjunkturellen Lage“, auch die Rekordtemperaturen im Sommer gewesen. Viel Spekulation um 12 Prozent weniger verkaufte Kinokarten.

Darum hat die Filmindustrie nun die Kampagne „Raubkopierer sind Verbrecher“ gestartet. Unter dem Law-and-order-Motto „Hart, aber gerecht“ sollen Spots und Plakate direkt aufs „fehlende Unrechtsbewusstsein des Endverbrauchers“ zielen. Und weil man glaubt, „dass es des Aufsehens bedarf“, wurde die Kampagne angelegt, als ginge es um eine Kriegsstrategie: Furcht und Schrecken verbreiten für eine gerechtere Welt. Man wolle das Problem „nicht so pädagogisch angehen wie die Musikindustrie“, begründet ZKM-Geschäftsführerin Elke Esser die harten Bandagen. „Um Verständnis zu bitten hat keinen Zweck.“

Die Kampagne scheint indes erste Wirkung zu zeigen. Nach einer Umfrage des Forsa-Instituts im Auftrag des Sterns erklärte die Hälfte der CD- und DVD-Nutzer, die schon einmal Musik oder Filme kopiert oder aus dem Internet heruntergeladen haben, sie würden dies künftig nicht oder nur noch seltener tun. Ein Viertel gibt an, in Zukunft überhaupt nicht mehr illegal kopieren zu wollen.

Offenbar fruchtet die Drohung, dass Raubkopierer mit „Freiheitsentzug bis zu fünf Jahren“ bestraft werden können. Dabei bewegt sich die Branche damit hart an der Grenze zur parodistischen Übertreibung. Denn das galt schon vor der Novellierung des Urheberrechts im September nur für die „gewerbsmäßige unerlaubte Verwertung“ urheberrechtlich geschützter Werke – also für Verkauf und Vertrieb im großen Stil.

Rechtlich weit aus dem Fenster lehnt die Filmindustrie sich zudem mit der Forderung nach Auskunftsansprüchen gegen Internet-Service-Provider: ein Punkt, der auch auf der Wunschliste der Musikindustrie seit langem ganz oben steht. Weitere Maßnahmen betreffen den Einsatz digitaler Wasserzeichen, um die Quelle einer Raubkopie aufspüren zu können.

Doch das Problem bleibt: In dem Maße, in dem Breitbandanschlüsse und DVD-Brenner in Privathaushalten Verbreitung finden, wird auch die Zahl der illegalen Filmkopien wachsen. Die Lösung muss aber nicht darin bestehen, ganze Legionen von Kinofans zu kriminalisieren.

Als mögliche Kompensation für Verluste könnte die Pauschalabgabe dienen, die schon jetzt auf Vervielfältigungsmedien erhoben wird. Für Videorekorder und DVD-Brenner werden 9,21 Euro pro Gerät kassiert, auch auf Rohlingen liegt eine Gebühr. Das Geld wird von Verwertungsgesellschaften wie Gema oder VG Wort an die Rechteinhaber verteilt. DIETMAR KAMMERER