Migränetherapie aus dem Holzbottich

Wie alte Kulturen Schmerzen behandelten, erforscht ein Mediziner der Uniklinik Köln. Seit jeher begegnete die Menschheit Leiden mit Phantasie. Frösche linderten Brandwunden, Giftschlangenfleisch galt als Allheilmittel und damit der Schmerzdämon entweicht, wurden ihm Löcher gebohrt

Im antiken Mittelmeerraum war es bei der Behandlung von schmerzenden Gliedern verbreitet, sie in Bottiche zu tauchen, die von elektrischen Fischen wimmelten. Die Torpedorochen versetzten den griechischen oder römischen Patienten dann Stromschläge und linderten dadurch deren Leiden. In medizinischen Schriften dieser Zeit werden die Tiere auch zur Behandlung chronischer Kopfschmerzen empfohlen. Verblüffenderweise hielt sich der Therapieansatz bis ins 19. Jahrhundert, als Apparaturen zur Bereitstellung von Elektrizität zur Verfügung standen.

Die oft kuriose Geschichte der Schmerztherapie stellt Privatdozent Rainer Sabatowski von der Klinik und Poliklinik für Anästhesiologie und Operative Intensivmedizin der Universität zu Köln in der Fachzeitschrift „Current Pharmaceutical Design“ vor. „Eigentlich sind Schmerzen eine sinnvolle Erfindung, weil sie uns warnen, wenn der Körper Schaden zu nehmen droht“, stellt der Anästhesist fest. Bei chronischen Schmerzen sei diese Schutzfunktion aber aufgehoben, weshalb Menschen aller Zeiten sich einfallsreich zeigten beim Versuch, diese abzustellen.

„Glücklicherweise sind nicht mehr alle diese Methoden gebräuchlich“, sagt Sabatowski.

So wurde das Jahrhunderte lang populäre Heilmittel „Theriak“ aus bis zu 70 Grundstoffen zusammen gebraut, zu denen auch Giftschlangenfleisch gehörte. Aber auch in unseren Tagen habe – wie der Wirbel um die Nebenwirkungen des als Superaspirin angepriesenen Vioxx zeigt – die Entwicklung von Schmerzmitteln ihr Ziel noch nicht erreicht. „Welche Therapie ersonnen wird“, so Sabatowski, „hängt heute wie schon damals davon ab, welche Ursache die Heilmächtigen, ob Medizinmann, Arzt oder Apotheker, als Ursache der Qualen annehmen.“

Bei einem gebrochenen Arm sei diese leicht zu erahnen. Innere und damit Schmerzen unsichtbarer Herkunft dagegen spornten die Phantasie enorm an: Bei manchen Naturvölkern ist deshalb der Glaube verbreitet, dass sich im Schmerz ein böser Geist des Körpers bemächtigt habe. Um den Dämon, der die Leiden verursacht, wieder los zu werden, muss er von einem Schamanen vertrieben werden. Und zwar auf dem Weg, auf dem er sich zuvor in den Körper eingeschlichen hat – durch Mund, Nase oder Ohren. Zum Nachhelfen findet sich in vielen Kulturen die Technik, gezielt Schnittwunden anzubringen oder gar ein Loch in den Schädel zu bohren. Weniger derb wurden die alten Ägypter zum Herausschnäuzen oder Erbrechen des fremden Wesens aufgefordert. Die Ägypter waren es auch, die auf schmerzende Haut Frösche legten, die aber zuvor in Öl gebraten werden mussten.

Schmerzen wurden aber nicht nur dem Wirken böser Geister zugeschrieben, sondern auch göttlicher Bestimmung. Im jüdisch-mesopotamischen Kulturraum und der Bibel findet sich die Vorstellung von Schmerzen als einer Strafe für begangene Sünden oder zumindest als einer Prüfung Gottes. Daher seien sie nun mal zu erdulden. Andererseits konnte ebenfalls mit der Bibel argumentiert werden, der Allvater habe doch die Heilkräuter wachsen lassen, also könne auch deren Verwendung nicht verwerflich sein. Besonders Frauen hatten es schwer, denn schließlich sagt die Schrift: „In Schmerzen sollst du Kinder haben.“ Erst als die englische Königin Viktoria 1853 ihre achte Entbindung dank Chloroform nicht so ganz bei Sinnen erlebte, wurden Narkose und Schmerzmittel als Geburtserleichterung in der Öffentlichkeit breiter akzeptiert.

„Auch in der Gegenwart ist es ein Ziel, gerade bei vielen chronisch Schmerzkranken unnötiges Leiden zu vermeiden“, so Sabatowski. Daher gewinne die Palliativmedizin seit einigen Jahren an Bedeutung. Ihr Schwerpunkt liegt nicht auf der häufig aussichtslosen Heilung von kranken Menschen, vielmehr geht es darum deren Schmerzen zu lindern. Die erste palliativmedizinische Einrichtung Deutschlands wurde 1983 in Köln eröffnet.HOLGER ELFES