Boxsport kielgeholt

Nach 21 Jahren erlebte Kiel wieder einen Profiboxabend, eine knutschende Bürgermeisterin und mit Felix Sturm einen titelverteidigenden Weltmeister

Felix Sturm: „Um gegen einen Star in Amerika zu boxen, brauche ich noch zwei, drei Jahre“

aus KIEL von OKE GÖTTLICH

Angelika Volquartz hatte Signalwirkung am Abend des „Event des Jahrzehnts in Kiel“. Die Oberbürgermeisterin hatte den passenden roten Lippenstift zum roten Sakko aufgetragen. Die CDU-Frau demonstrierte damit rein farblich wie die Grenzen nicht nur in der Bundespolitik zwischen rot und schwarz verschwimmen, sondern auch jene zwischen Sport und Politik.

Selten zuvor konnte man eine derart engagierte Öffentlichkeitsarbeit am Rande eines Boxkampfes erleben. „Selbst im Rathaus diskutieren wir seit Tagen über den Boxkampf mit Wladimir Klitschko“, schwärmte Volquartz, die persönlich alles versuchte, um die Kieler Ostseehalle auf der Box-Landkarte neben dem Madison Square Garden in New York oder dem Caesar‘s Palace in Las Vegas zu platzieren. Einen Platz neben der Color Line Arena in Hamburg hat sie durch ihre kompaktere Bauweise und die bessere Atmosphäre in jedem Fall verdient. So wurde Volquartz‘ Grinsen auch gleich ein wenig breiter, als Veranstalter Klaus-Peter Kohl vom Universum-Boxstall ankündigte „Wiederholungstäter“ zu sein und Kiel für „eine sehr gute Vorbereitung“ dankte.

Dass die beiden Klitschko-Brüder eine besondere Beziehung zu Kiel aufgebaut hätten, machte die Oberbürgermeisterin auch an den Museumsbesuchen der Boxer fest. „Wir haben viele und nette Kieler kennengelernt und haben die Museen besucht“, säuselte Wladimir Klitschko um pathetisch hinterherzujagen, so „begeistert vom Publikum“ zu sein, dass es wie „Elektrizität durch meinen Körper gegangen ist“. Das war ausreichend charmant, um sich nach dem Ende der Pressekonferenz noch einen Nebenjob als Autogrammschreiber für die Oberbürgermeisterin zu sichern und zu guter letzt noch auf den Geschmack zu kommen und Frau Volquartz – Spitzname „Püppi“ – zweifach die Wangen zu küssen. Wen von beiden das wohl elektrisiert haben mag?

Das Publikum in der Kieler Ostseehalle erlebte in Wahrheit nur einen wirklich elektrisierenden Kampf. Der in Hamburg lebende Leverkusener Felix Sturm verteidigte seinen WM-Titel nach WBO-Wertung mit einem souveränen Punktsieg nach zwölf Runden gegen den Spanier Ruben Varon. Der 24-jährige Mittelgewichts-Champion lieferte bei seiner ersten Titelverteidigung eine boxerisch überzeugende Leistung ab. „Ich habe heute unter Beweis gestellt, dass ich den Titel zu Recht trage. Es gab noch einige kleine Fehler, aber auch die werde ich noch abstellen“, versprach Sturm nach dem 20. Sieg im 20. Kampf seiner Profi-Karriere.

„Felix hat gut mit dem Kopf gearbeitet“, attestierte ihm sein Trainer Michael Timm. Zwar war damit zunächst tatsächlich gemeint, dass er den Schlägen Varons gut ausweichen konnte, doch hatte die Aussage auch einen übergeordneten Charakter. Sturm verstand es trotz seines Ungestüms vergangener Tage, sich den Kampf gut einzuteilen. Nahezu jede Runde konnte er für sich entscheiden, ohne kopflos den Knock-out zu suchen. Künftig werden Pflichtverteidigungen auf dem Programm stehen. Unter Umständen wartet der ehemalige Stallgefährte Bert Schenk auf Sturm, der als Ersatzmann für den verletzten Schenk im September überraschend den Weltmeistertitel erringen konnte. „Mein Traumgegner wäre zwar Bernard Hopkins, aber um gegen einen Star in Amerika zu boxen, brauche ich noch zwei, drei Jahre“, so Sturm.

Gemeinsam mit einem weiteren Jungtalent, Alexander Dimitrenko (gewann seinen Schwergewichts-Kampf in der ersten Runde durch K.o.), könnte Sturm dafür sorgen, dass Kiel nach den wilden 60er und 70er Jahren wieder interessante Profiveranstaltungen geboten bekommen könnte. Denn seit den Zeiten des Lokalmatadors Lothar Abend (1963), Max Schmelings letztem Sieg (1948) oder dem letzten Kampf in der Ostseehalle 1982 haben schon einige OberbürgermeisterInnen Kiel regiert.

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