Vorsicht, lebende Plattenteller!

Einmal vom Kino übers Radio auf die Bühne und zurück: Das Radio-Eins-Moderatorenpaar Christoph Grissemann und Dirk Stermann glänzte im Gorki Theater mit „The Marx Brothers Radio Show“. Trotz manch versemmelter Pointe

„Ich vergesse nie ein Gesicht. Aber in Ihrem Fall mache ich gerne eine Ausnahme.“ Oder: „Gehen Sie, und beschmutzen Sie meine Handtücher nie wieder!“ Hervorragender Mann, dieser Groucho Marx. Alle Marx-Brüder waren Genies, extrem talentiert, einfallsreich, timingfest und charismatisch in ihren unterschiedlichen Figuren.

Das macht es ziemlich schwer, sie zu kopieren. Darum hat Radio Eins, Berlin-Brandenburgs in letzter Zeit endlich und zu Recht aus dem Schatten des Nischensenders herausgestrahltes Erwachsenen-Radio, das auch gar nicht erst probiert. Stattdessen versuchten sich die Moderatoren Christoph Grissemann und Dirk Stermann am Freitag schon zum zweiten Mal an einer Interpretation der „Marx Brothers Radio Show“. Diese „Radio Shows“ mit bekannten Filmstars hatten in den 30er-Jahren Tradition: Vielen KinoschauspielerInnen knickten Mitte des Jahrzehnts die Karrieren ein wenig weg – das Konkurrenzmedium Radio heizte dem Kintopp mächtig ein. Auch die Marx Brothers, vor allem Groucho (der Schlagfertigste) und Chico schauten sich um und ließen sich für 26 Folgen der Hörspiel-Anwaltsserie „Beagle, Shyster & Beagle“ verpflichten.

Nach den Originalscripts und dem Originalkonzept gingen auch Grissemann und Stermann im Maxim Gorki Theater vor. Eine Live-Sendung im Radio, mit Publikum im Theater, Live-Nachrichten und, vor allem, live von den Schauspielern eingesprochene Werbespots, dazu ein Rahmenprogramm mit Musik und Tanz fegte über die Bühne des nicht ganz vollen Hauses. Am charmantesten tobte dabei das „1. Internationale Radioballett“, in dem die Rollen von Tonbandmaschine, Pegelanzeiger, Plattenteller, Mikrofon und Regler alle von echten, lebendigen RadioredakteurInnen und -angestellten dargestellt wurden. Zwischendurch sang Moderatorin Marion Brasch mit Nico-Charme und -Akzent ein paar Liedchen, und die Nachrichtensprecherinnen sagten ihre Steuerreform- und Verkehrssprüchlein auf.

Schließlich der Hauptact: Stermann als Groucho Marx, also Mr. Beagle, und Grissemann als Chico, also Beagles Assistent Ravelli, zusammen mit Ensemblemitgliedern in einem 45-Minuten-Sketch über die Schwierigkeit, als stinkfauler Rechtsanwalt Fälle aufzureißen, den Bürovermieter vom Kassieren abzuhalten und gleichzeitig mit der Sekretärin zu flirten. Reizend war da teilweise zu sehen, wie der Geräuschemacher die Bewegungen live untermalte, das Türknarschen, das Telefonklingeln, manchmal schien er auch einfach so vor sich hin zu improvisieren. Reizend auch manche der Gags, jedenfalls die, die Grissemann und Stermann scriptgetreu herausschleuderten.

Denn das Besondere an den beiden ist ja eher ihr Bekenntnis zur Langsamkeit, zum bedächtig Herauspulen des Gags, als die Neigung zum hektischen Parlieren wie die Marx-Vorbilder. Das Publikum beömmelte sich vor allem bei den – extra oder unfreiwillig, jedenfalls lustvoll – in den Sand gesetzten Szenen, bekicherte bereitwillig jede falsche Linie, jede versemmelte Pointe und jeden geglückten Gag. Und feierte damit die interpretatorische Freiheit der beliebten Moderatoren: Sie versuchten gar nicht erst, so eloquent wie die Originale zu amüsieren, sondern tunten den Humor der Marx Brothers auf eine semiösterreichische Albernheitsmelange aus Selbstbewusstsein und Sich-auf-den-anderen-Verlassen-Können runter – und damit genau dorthin, wo ihre Fans ihn haben wollten.

Ein spektakulöses Ende mit viel Slapstick und Zeuggewerfe auf der Bühne beschloss den Abend. Hatte man der Radio-Show allerdings, wie ursprünglich vermutlich von den MacherInnen gedacht, vor dem Radioapparat zugehört statt das Haus zu verlassen und ins Theater zu gehen, so blieb man wohl eher verwirrt zurück und fragte sich, warum das Publikum so gackerte, denn sehen kann man Zeuggewerfe und auf dem Boden herumschubbernde Blondmaus-Sekretärinnen durch das Radio eben nicht. Was man so gelernt hat: Die Radiomänner Grissemann und Stermann funktionieren, wenn sie auf einer Bühne stehen, nur noch nach vorn, nicht mehr durch den Äther. Szenenapplaus ist eben doch ein wärmeres Feedback und schaukelt das Ego stärker als immer nur rote Auf-Sendung-Latüchten.

JENNI ZYLKA

Nächste „Marx-Brothers-Radio-Show“ live im Gorki Theater am 23. Januar, 20.30 Uhr