Nähe bewahren

Der Grundschulreformer und pensionierte Oberschulrat Hermann Schwarz plädiert für den Erhalt kleiner Grundschulen. Fusionen ersparten nur Kosten

„Ich registriere eine große Immunität des Senats gegen Sachargumente“

Interview: Kaija Kutter

taz: Warum haben Sie sich in die Debatte um Schulschließungen eingemischt?

Hermann Schwarz: Weil man nicht nur von oben denken darf, gerade in der Schulentwicklung nicht. In einer Zeit, in der in Folge von Pisa fast nur noch negativ über Schule gesprochen wird, werfen sich hier etliche Eltern mit hohem Engagement für ihre Schule in die Bresche. Das täten sie nicht, wenn ihre Schule mies wäre. Dies tun Eltern, wenn ihre Kinder gern in die Schule gehen und gern dort lernen. Das ist wichtiges Indiz für die Qualität dieser Schulen. Schulentwicklung heißt, vorhandenes Gutes zu stärken und nicht, es kaputt zu machen.

Sie schreiben in Ihrem Plädoyer für die Nachbarschaftsschule, es sei „unfair“ zu suggerieren, die zweizügige Grundschule sei defizitär. Hat diese Suggestion schon gewirkt?

Das kann ich nicht beurteilen. Bei vielen, die wenig Ahnung von Schule haben, wirkt, was die Oberen sagen.

Warum ist es unfair?

Weil sowohl Bildungssenatorin Dinges-Dierig als auch Staatsrat Schmitz und CDU-Politiker Heinemann den Eindruck erwecken, die dreizügige Grundschule sei auch pädagogisch besser. Sie spart Betriebskosten, das stimmt. Aber sie ist nicht pädagogisch überlegen. Wenn sie eine zweizügige Schule mit insgesamt acht Klassen und Vorschule nehmen, kommen da mit Teilzeitstellen beispielsweise 15 KollegInnen zusammen. Mit 15 Leuten kann man wunderbar auch Wahlpflichtunterricht anbieten. Nebenbei: auch Eltern oder Leute aus der Kommune können sich in Kursen einbringen. Auch die Krankenvertretung funktioniert bei der größeren Schule nicht besser. Da hat man zwar mehr Vertreter, aber auch mehr Kranke. Es sprechen fiskalische Gründe für die Dreizügigkeit. Man braucht weniger Schulstandorte und kann die Klassen leichter groß organisieren.

Was wären die Verluste?

Für die Kinder geht die Nähe ihrer Schule verloren. Das ist unter anderem schlecht, weil mehr Kinder mit dem Auto gebracht werden müssen oder den doppelten Weg zum Hort haben. Insbesondere geht die Verwobenheit der Schule mit ihrem Stadtteil verloren, zu deren Lebensmittelpunkten sie gehört. Darauf müsste man dennoch verzichten, falls Dreizügigkeit zu größerem Lernerfolg führte. Aber das ist nicht so.

Was sagt die Forschung dazu?

Untersuchungen kenne ich nicht, aber auch Wissenschaftler haben geäußert, dass der Nachbarschaftsbezug der zweizügigen Grundschule ein wichtiger Wert ist. Aber sie sagen auch, dass es nicht zu stark im eigenen Saft gekocht werden darf, was bei der einzügigen Grundschule passieren kann. Die Zweizügige vereint nachbarschaftliche Nähe und bessere Überschaubarkeit mit der nötigen Anregungsvielfalt. In einer kleineren Gemeinschaft entsteht eher eine Vertrauens- und Beziehungskultur, in der die Beteiligten eher Verantwortung füreinander übernehmen. Das kann eine zweizügige Grundschule gut leisten.

Dabei will ich kein Wort gegen die größeren Schulen sagen, die ihre Sache gut machen. Schulentwicklung sollte insbesondere in der Verbesserung der Kommunikations- und Lernprozesse sowie der Lern- und Arbeitsbedingungen in den Schulen bestehen und dies nicht mit einer Organisationsnorm zerstören.

Das Gute sollen die Lehrer doch an die neue Schule mitnehmen.

Gute Schulentwicklung mitzunehmen kann am ehesten gelingen, wenn ganze Schulgemeinden umziehen. Aber nur sehr begrenzt, wenn, wie es mehrheitlich der Fall sein dürfte, die LehrerInnen in alle Winde zerstreut werden.

Hoffen Sie auf Gehör?

In einigen Bezirken setzen sich auch CDU-Fraktionen für ihre Grundschulen ein, insofern gibt es eine Chance. Aber Hoffnung? Ich registriere eine große Immunität des Senats gegen Sachargumente aus der Arbeitsebene der Schulen. Das müsste sich ändern. Das Lernen und Leben der Kinder wird nicht besser werden durch das Durchsetzen der Strukturnorm Dreizügigkeit. Ich frage mich, was das für Konservative sind, die hier die von den Menschen dringlich gewollte Beziehungsnähe und Kontinuität nicht bewahren, sondern preisgeben wollen.

Schulaufsichtsleiter Norbert Rosenboom hat gesagt, dass die „Standortidentifikation“ im Moment der Schließungsdrohung eintritt.

Die Identifikation eines Stadtteils mit seiner Schule wirkt normalerweise im Stillen. Erst wenn der Feind kommt, fasst man sich sichtbar an den Händen.